..., der Theater-manufactur Sachse,
so ihr damaliger Name, führt uns in das beginnende achtzehnte Jahrhundert in das heute im Anhaltinischen liegende Wein-Städtchen Freyburg, das im Schatten des berühmteren ehemaligen Bischofssitzes Naumburg am Zusammenfluß von Saale und Unstrut gelegen, noch heute für seine Sektmarke „Rotkäppchen“ einen guten Leumund besitzt. Die Familie Sachse beschäftigte sich zunächst mit der Manufakturierung von Gebrauchsliteratur, da ihr Hauptgewerbe, die Bäckerei und Weinbauerei, wenig Zeit für die Ausübung der schönen Künste ließ. Von daher sind aus der Anfangszeit ausschließlich Rechnungen und Kellerbücher an uns überliefert, allerdings, so muß man hinzufügen, von kalligraphisch brillantester Art und Weise. So haben wir den Beleg, daß die Familie Sachse kurz vor dem Siebenjährigen Krieg ein Fäßchen edelsten Weines ins Schloß Hartenfels nach Torgau an der Elbe lieferte. Dieses Expreß-Gut mag in den Wirren des folgenden Krieges das Los der Stadt geteilt haben. Wir wissen es nicht. Die Verflochtenheit des Familien-Unternehmens mit dem Schicksale des gärenden Europa zeigt sich zum Nächsten in dem elenden Napoleonischen Krieg, zu dessen Ende sich die Manufaktur zum ersten Male mit einem ausgereiften und gelungenen Produkt am Markte fand: Der Beschreibung des Rückzugs Napoleons, der bei Leipzig geschlagen, im Jahre 1813 über Naumburg kommend Saale und Unstrut überquerte, um, nachdem er die einzige Brücke im weiten Umkreis hatte niederbrennen lassen, in Freyburg Quartier zu nehmen. Der Ruhm einer lebendigen und historisch detaillierten Beschreibung dieses Ereignisses gebührt Maximilian Christian Sachse, einem der leuchtenden Sterne in der langen Saga des Hauses Sachse. (...) Die gewerbliche Herstellung literarischer Texte nahm mit der Geschäftsführung von Ingeborg Sachse, einer geborenen Welzel, mütterlicherseits mit jenem berühmten Anführer des polnischen Aufstandes von Piotrowski in gerader Linie verwandt, einen ungeahnten Aufschwung. Aus dem schlesischen Kattowitz kommend brachte sie in das bodenständige Unternehmen die Seelenwärme und den sozialen Gerechtigkeitssinn der osteuropäischen Völkerschaften ein. Fortan produzierte unser kleines Unternehmen allerliebste Theaterstücke, Kurzgeschichten und Balladen, die zu Weihnachten und hohen Geburtstagen verwendet, so dürfen wir sagen, zu einiger Berühmtheit gelangten, und weitete damit seine Produktpalette nochmals beträchtlich aus. Christian Sachse nun, dem heutigen Geschäftsführer, oblag für viele Jahre die nicht ungefährliche Aufgabe, das Schiff unserer Manufaktur sicher durch die Fährnisse des roten Terrors zu geleiten, der sich als socialistisch, d.h. dem Gemeinwohl verpflichtet, verstand. Um der mehrfach drohenden Verstaatlichung zu entgehen, verlegte sich das Unternehmen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf die Produktion religiöser Gebrauchstexte als da sind: Begräbnisreden, Hochzeitsansprachen, rituelle Formeln für Kindstaufen. Vom Staate mehr gelitten als geliebt, vom Volke aber eifrig konsumiert, mußte die Politbürokratie schließlich zähneknirschend unsere Existenz anerkennen. Sie tat es ungern und machte unserem Geschäftsführer, so oft sie konnte, das Leben zur Hölle, sei es, daß sie durch bezahlte Kreaturen die Kugelschreiber verstecken oder apokryphe Texte in Umlauf bringen ließ. Christian Sachse antwortete auf derlei Schikanen, prinzipienfest wie er ist, allein mit literarischen Mitteln, politischen Balladen, kabarettistischen Sketchen und doppelbödigen Anspielungen. Er gehört zum Ruhme unserer Manufaktur in die Reihe der oppositionellen Literaten, die durch ihr leidvolles Schaffen die Wende zum besseren bewirkten. Doch genug der traurigen Geschichte aus den Jahren der Verfolgung. Heute finden wir in der Theater-Manufaktur Christian Sachse einen prosperierenden Familienbetrieb, dessen Name die Breite unseres Angebotes nicht im Entferntesten widerzuspiegeln vermag. Peter Sachse, nunmehr im steuergünstigen Brandenburg ansässig, betreibt mit erweitertem Personal die Produktion von religiösen Texten. Christian Sachse, unser heutiger Geschäftsführer und ältester Sohn der Familie, übernahm in der Reichshauptstadt Berlin die Residenz unserer Geschäftszentrale. Unter seiner Regie kam die Herstellung von Theaterstücken, Kurzgeschichten und - eine Neuerung - essayistischen Artikeln zu nie gekannter Blüte. Unser eigenes Vertriebssystem läßt uns unabhängig von der Macht der großen Verlage ohne Zwischenhändler preiswerte Ware an den Mann oder die Frau bringen. Blicken wir in die Zukunft, so sehen wir in dem jüngsten Sproß der Familie Sachse, Sebastian, gelassen der Internationalisierung des literarischen Gewerbes entgegen. Er verfaßt seine Produkte in englischer und französischer Sprache. Was, so möchte mancher nun fragen, macht den Erfolg unseres Unternehmens aus? Wir möchten antworten: Bodenständigkeit und Weltoffenheit in jener glücklichen Mischung, wie sie unser Geschäftsführer auf das Beste repräsentiert. Und: ein Lob dem soliden Handwerk, das vom Kenner geschätzt, sich über die Fertigung industrieller Massenware weit hinauserhebt. Wir beamen keine schnell zusammengezimmerten syntaktischen Mißgeburten per Modem durch die Highways der Datenlandschaft. Wir fabrizieren auch nicht auf Vorrat Versatzstücke minderer literarischer Qualität, um sie bei Bedarf in endlosen Serien wiederzukäuen. Getreu unserer alten Familientradition werden die Texte auch heute noch einzeln verfertigt. Jedes Stück ist ein Unikat. Beim Drechseln von Formulierungen, Verse-Schmieden von Hand (ohne mechanische Hülfsmittel wie Synonymwörterbücher und Rückläufige Wörterbücher!!), ja selbst beim Dreschen von Phrasen verbindet sich solides handwerkliches Können mit unternehmerischem Weitblick und Modernität. Wir haben einen kleinen, aber treuen Kundenkreis, teils bereits über Generationen hinweg, dem es an Geschmack und dem nötigen Geld nicht mangelt. So blicken wir, die Theater-Manufaktur Christian Sachse, gelassen ins nächste Jahrtausend, zu dessen Beginn sich die Existenz unseres Unternehmens zum dreihundertsten Male jährt.
Aus: Christian Sachse: König Kompott. Ein wirkliches Drama in vier Akten (1995).