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Aus der Laudatio anlässlich des 90. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h.c. Edmund Schlunk im Jahre 1978

 

[Die Laudatio wurde gehalten an einem unbekannten Ort in Osteuropa am 18. März 1978 von Erasmus Virna, Schlunks schlesisch-lettischem Assistenten, einem begabten praktischen Theogogen, der auf der rasanten Heimfahrt von dieser Laudatio bei einem Motorradunfall um´s Leben kam. Weitere Zuhörer außer Edmund Schlunk gab es vermutlich nicht. Es muss eine kleine, aber ergreifende Feier gewesen sein. Der Text der Laudatio kam auf vielen Umwegen als Urschrift auf mich, den Historiker Christian Sachse/Berlin. Er wurde nie gedruckt und wird hier auf deutsch und in der neuen Rechtschreibweise wiedergegeben. Etwaige syntaktische Eigenwilligkeiten wurden beibehalten. C.S.]

 

Sehr verehrter, lieber Herr Professor Dr. Dr. h.c. Schlunk!

Von Ihnen, meinem hochverehrten Lehrer stammt ein Satz, der heute in aller Munde ist, von dem aber niemand mehr die Quelle anzugeben vermag: „Lebenszeit ist Schaffenszeit!“ Lassen Sie mich also gleich in medias res gehen, in die Sache hinein, die ihr ganzes Lebenswerk ausfüllte: die Theogogie! Mögen die Kritikaster und Scholare in Ihrer umfangreichen Bibliographie wühlen und sich an Werken ergötzen wie dem fünfbändigen „Wer erhörte Kain?“ oder dem unübertroffenen Opus „Die Stimme Hitlers. Gott sprach nicht.“ Ich selbst – lassen Sie mein unmaßgebliches Urteil an Ihr Ohr dringen – war damals als junger Theographiestudent derart von Ihrem Aufsatz „Praktische Theogogie aus systematischer Sicht“ beeindruckt, dass ich sofort das Fach wechselte. Sie, verehrter lieber Professor Schlunk waren so gütig, meine schmalen Forschungsergebnisse mit dem Posten eines Assistenten zu würdigen. Lassen Sie mich einen Blick in diese frühen Jahre werfen.

Wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel traf mich damals ihre Definition der Theogogie, die – so kann man ruhigen Gewissens sagen – in ihrer Präzision und Allgemeinverständlichkeit nie wieder übertroffen wurde: „Wie bringe ich Gott dazu, zu machen, was ich will?“

Von Ihnen stammt auch die dem klaren, kräftigen Zugriff der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts entlehnte wissenschaftliche Systematik, die Einteilung in die historische, die systematische und die praktische Theogogie. Brillant war ihr Aufsatz im Bereich der historischen theogogischen Forschung „Warum Gott Lot nicht erhörte.“ [op. omn. Nr. 256]. Ich zitiere aus den Schlussthesen: „Man kann mit Gott nicht wie mit einem Teppichhändler verhandeln. Deshalb mussten Sodom und Gomorrha untergehen.“ Oder These zwei: „Lots unausgesprochene Bitte, dass seine zänkische Ehefrau zur Salzsäule erstarrte, wurde ja immerhin erhört.“ Hierzu passt vielleicht jene kleine Anekdote, dass Ihnen damals Curt Freiherr von Burthesius vorwarf, sie hätten damit einer Art rhetorischer Schein-Theogogik das Wort geführt. Burthesius, so wissen wir heute, scheiterte mit seiner semantischen Analyse der Jesu-Worte am Kreuz „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – man kann es nicht anders sagen – grandios. Hatte er doch den fehlenden Beistand Gottes auf die mangelnden rhetorischen Fähigkeiten Jesu zurückgeführt. Doch die Wissenschaft geht mancherlei Irrwege, um zu wahrer Erkenntnis zu gelangen. So erwuchs aus dem Irrtum von Burthesius Ihre, verehrter Herr Professor, wahrlich epochale Untersuchung „Praktische Theogogie, alle früheren Irrtümer“. Sie wiesen nach, dass die ersten unbeholfenen Versuche, Gott den eigenen Willen aufzuzwingen, von Gott selbst oftmals gnädiger angesehen wurden, als die hochkomplexen katholischen Riten. Warum, so die zentrale Frage, hatte statistisch gesehen ein australischer Regenmacher mehr Erfolg mit seinem Gebet um Regen als der Ökumenische Weltrat der Kirchen mit seinen weltumspannenden Gebetsketten für den Frieden? Es entstand in jenen Jahren die hoch fruchtbare Zusammenarbeit mit der Theosophie, jener Lehre, die davon ausgeht, dass Gott einfach nur geliebt werden will. Freilich musste die Theosophie von ihren Anthropomorphismen gereinigt werden, die suggerierten, man könne von Gott bekommen, was man wolle, wenn man ihn auf menschliche Weise (etwa wie ein Mann eine Frau oder ein Kind seinen Großvater) liebte. Doch wie Sie, verehrter, lieber Professor, anhand der systematischen und historischen Theogogie zeigten, gab es bis vor kurzem keine sichere Methode, Gott den eigenen Willen aufzuzwingen („Alle früheren Irrtümer“, op. omn. Nr. 313a). Ja, es schien sogar ein gewisses Chaos zu herrschen. Den Juden teilte Gott das Rote Meer, als sie von den Ägyptern verfolgt wurden, scheint es, ohne explizit dazu aufgefordert worden zu sein. Umgekehrt haben im 1. Weltkrieg sich die deutschen und französischen Soldaten die Lunge aus dem Hals geschrieen (wortwörtlich!), ohne dass Gott sich wenigstens für eine der beiden Seiten entschieden hätte. Die historische und die systematische Theogogie waren in eine Sackgasse geraten. Nur eine wissenschaftliche Lichtgestalt konnte einen Durchbruch schaffen.

Dieser Durchbruch – ich sage es mit einem gewissen Erschauern – ist geschafft. Dank der experimentellen Theogogie, an deren Entwicklung mitzuarbeiten mir bereits selbst vergönnt war. Nach einigen niederschmetternden Erfahrungen, wie etwa der computergestützten Gebetsformulierungen, die in Analogie zu den tibetanischen Gebetsmühlen Gott durch quantitative oder qualitative Überforderung zur Erfüllung des menschlichen Willens zwingen wollten, kam die Erleuchtung. Francois Metier, mathematischer Theonom und krasser Außenseiter im wissenschaftlichen Betrieb, gelang der Nachweis, dass Gott durch qualitativ und quantitativ bestimmte Methoden nicht in die Knie zu zwingen sei. Seine mathematische Beweisführung war für ein normales menschliches Hirn kaum noch zu fassen. Es bleiben nur Metaphern: „Je breiter das Gebet wird, desto spitzer wird Gott. Je konzentrierter das Gebet wird, desto mehr verschwimmen Gottes Grenzen.“ Selbstverständlich gilt auch die Umkehrung. Diese geniale Idee Metiers, mitten in den Pariser Studentenunruhen von 1968 formuliert, die zunächst nur eine reine Beschreibung war, forderte die Theogogie als Anwendungswissenschaft heraus. Gab es einen Algorithmus des Gebets oder sollte die Theogogie – ähnlich wie die Physik an der Heisenbergschen Unschärferelation – an schlicht unveränderbaren Eigenschaften Gottes scheitern?

Die Forschungsarbeiten im kleinen Kreis dauerten fast ein Jahrzehnt. Inzwischen vagabundierte die universitäre Theogogie auf Abwegen. Es begann die sattsam bekannte Renaissance der theosophischen Methode, genannt auch die Tom-Sawyer-Methode, die darin bestand, Gott solange um den Bart zu gehen, bis er einem den gewünschten Angelhaken eben doch schenkte. Wie naiv! Und kein Ruhmesblatt in der ehrwürdigen Geschichte unserer Wissenschaft. Doch was will man machen.

Seit gestern nun ist die Erkenntnis klar formuliert. Und fast scheint es kein Zufall zu sein, dass es genau an dem Tage geschah, der Ihr neunzigstes Lebensjahr vollendete...

Herr Professor? Sie hören ja gar nicht mehr zu? Der Puls... Mein Gott, er ist schwach und flattert. Wo ist die Medizin? Er hat seine Medizin vergessen. Sie steht bei mir zu Hause  auf dem Schreibtisch.

Professor, halten Sie durch. Ich schwinge mich aufs Motorrad. Wenn Gott will und wir leben, bin ich in zwanzig Minuten zurück...

 

Christian Sachse, 2007

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