Christian Sachse, 1999
Diese Jahrtausendwende wird wenig bewirken. Historische Ereignisse folgen nur widerwillig der ästhetischen Faszination des Dezimalsystems. In der global vernetzten Datenlandschaft unserer Welt ist der Wechsel des Jahrtausend-Zählers zudem nur ein partikulares Ereignis, das im Wesentlichen den Raum des christlichen Kalenders betrifft. Nur in unserem Kalenderkreis entwickelt das Jahr Zweitausend jene magische Kraft, die motiviert, bis zu diesem „historischen“ Datum noch dieses und jenes erreichen zu wollen oder danach alles anders zu machen. Die anderen Menschen, geprägt meist von der doppelten Existenz in ihrem traditionellen und unserem administrativ übernommenen Kalender, mögen an jenem Tag belustigt und ein wenig neidisch von ihren Kalenderinseln zu uns herüberschauen. Vielleicht berechnet der eine oder andere auch, ob nicht doch ein kleineres Jubiläum in seine Biographie fallen könnte. Die Zählung der Jahre ist längst pluralisiert; Unsinn, sie war es schon immer. Das schärft das Bewußtsein für einen nüchternen Tatbestand: Wir wechseln nicht das Zeitalter, erst recht nicht die Zeit. Das 21. Jahrhundert wird genauso mit dem zwanzigsten verwoben sein, wie es unser Jahrhundert mit dem vorigen war. Der Zug der Zeit holpert nicht an den Schwellen der Jahrhundertwechsel; der Zug gleitet an einem Meilenstein vorbei. Und selbst wenn der Zugbegleiter die Passagiere darauf aufmerksam machen sollte, die wenigsten werden aus dem Fenster schauen: Kilometer 2000, ein weißer länglicher Stein am Rande der Trasse. Eine mythische Überhöhung wie zur ersten Jahrtausendwende in unserem christlichen Kalender wird kaum mehr als in einigen Sekten Raum greifen. Doch selbst damals hielt sich die Begeisterung (und Verängstigung) in Grenzen. Dabei trug der damalige Jahrtausendwechsel immerhin eine augustinische Signatur. Er sollte das mit den dämonischen Gewalten kämpfende Reich Christi zum Sieger deklarieren. Doch Silvester II war zu dieser Zeit Papst von Ottos Gnaden. Da konnten kaum millenistische Gedanken aufkommen. Spätere christliche Apokalyptiker haben sich wenig um das Dezimalsystem geschert: Joachim von Fiore verlegte das Ende des mevium aevum kurzerhand auf das Jahr 1260, Melchior Hoffmann erwartete das Weltende für 1533. Wenn Verkünder derartiger Zeitschwellen bei Gläubigen Anklang fanden, so hatte das seine Ursachen in den politischen und sozialen Gärungsprozessen jener Zeit, nicht in einer makellosen Reihe von Nullen hinter der dritten oder vierten Stelle.
Diese Unabhängigkeit sollten wir uns bewahren. Schließlich haben wir den Jahrtausendwechsel nur einer Reihe dummer Zufälle zu verdanken. Der erste ist das Dezimalsystem. Hätte die Natur uns statt mit zehn, nur mit acht Fingern beschenkt (wie die Trickfilmfiguren), dann schrieben wir statt der wunderschönen, nullengesättigten „2000“ ein schnödes Jahr 3720, so wie es das Oktogesimalsystem halt vorschreibt. Mit sechzehn Fingern wären wir im Jahr 7D0, das sprachlich übersetzt etwa „siebenhundertdezig“ lauten könnte. Ein langweiliges Datum mit nur einer Null, das sich im übrigen nur alle sechzehn Jahre wiederholt.
Der zweite dumme Zufall ist die Festlegung des Geburtstermins Christi, auf den sich bekanntlich unser Kalender als das Anfangsjahr bezieht. Dionysius Exiguus, der dies im Jahre 525 nC. reichlich spät zum ersten Mal versucht hat, verhedderte sich dabei zwischen den regionalen relativen Jahreszählungen und dem römischen Kalender, so daß die Geburt Jesu auf das Jahr 7 bis 3 vor Christi Geburt, vielleicht auch später, zu datieren sein dürfte. Die Meinungen der Experten schwanken auch heute noch um gut ein Jahrzehnt. Niemand kann mehr genau sagen, wann jener Mensch geboren wurde, der uns das Jahr Null bescherte. Also, es besteht die realistische Möglichkeit, daß wir das Jahr 2000 nach Christi Geburt im Jahre 1993 verpaßt haben. Mit anderen Worten: der Bezugspunkt unserer Zeitrechnung ist ein fiktiver; die Brücke in die Vergangenheit hat auf der anderen Seite kein Widerlager.
Der dritte dumme Zufall besteht im Scheitern der französischen Revolution. Hätte der Konvent sich durchgesetzt, der im Oktober 1793 das Jahr II der neuen Zeitrechnung ausrief, hätten wir im Jahr 2000 ungefähr das schlichte Datum „208 nach der großen französischen Revolution“ zu durchlaufen. Kein Hahn würde danach krähen.
Das Netz aus Zahlen, das wir über die Vergangenheit werfen, ist also wahrlich nicht absolut. Der Grund, den wir zum Feiern vorgeben, ist selbst ein Ergebnis geschichtlicher Kontingenz.
Andererseits interferiert Rhythmus der formalen Jahreszählung nur schwach mit dem Rhythmus der Geschichte. Lassen wir also das relativistische Herumschwadronieren in theoretisch denkbaren Zeitrechnungen. Wenden wir uns den Zeitläuften selbst zu. Vor zehn Jahren, als das kommunistische Weltreich zusammenbrach, da war der Zeitgeist aufgeladen mit zeitlichen Begriffen. Kaum jemand wagte sich daran vorbei, von „historischen Ereignissen“, gar von einer „neuen Epoche“ zu reden. „Post“ und „ante“ hatten einen neuen Bezugspunkt erhalten. Und die so sprachen, sie hatten Recht. Das Jahr 1989 avancierte zum neuen Schwellendatum der Zeitgeschichte, das sich längst in der relativen Zeitzählung etabliert hat. Wenn wir also - nun metaphorisch - von einem neuen Jahrhundert oder gar von einem neuen Jahrtausend sprechen, so fand dieser Wechsel im Jahre 1989 nC. statt. In dieser „Sternstunde“ kumulierten sich lang-, mittel- und kurzfristige Prozesse in einem Punkt, in dem sich - ebenso metaphorisch gesprochen - der Wechsel des Jahres, Jahrzehntes, Jahrhunderts, wenn nicht sogar Jahrtausends vollzog. Sicherlich, eine solche Feststellung entspringt zunächst einmal einem Nachdenken in der Zeit; eine Reflexion über die Zeit folgt erst dort, wo wir nicht nur den Wechsel der Epoche konstatieren, sondern seine Qualität bestimmen. Wir werden später darauf zurückkommen müssen, was wir jetzt nur andeuten: Mit dem philosophischen und machtpolitischen Zusammenbruch des Kommunismus ist das letzte der menschheitsumfassenden abendländischen Projekte des 18. und 19. Jahrhunderts zu seinem Ende gekommen. Die Last eines zielgerichteten Prozesses der Menschheitsgeschichte (kulminierend in Hegel, Marx und Nietzsche), der unser Dasein lust- und qualvoll zugleich zwischen Herkommen und Hingehen aufspannte, haben wir von uns geworfen, um unsere Gegenwart mit höchst partikularen „Hausaufgaben“ auszufüllen: Das Projekt des ewigen Friedens haben wir auf die UN-Resolution Nummero soundso reduziert, das Zusichselbstkommen des Weltgeistes schimmert nur noch gebrochen durch die Fusionierung zweier Weltkonzerne, das unerhörte Projekt der Selbstbefreiung des Menschen aus entfremdenden gesellschaftlichen Verhältnissen feiert im bungi-jumping seine letzten Triumphe, der von moralischen Skrupeln befreite Übermensch verkauft an Buschmänner in kulturzerstörerischer Absicht coffeinhaltige Limonade.
Prognose, Utopie und Planung - enthüllten sie ihren Zwangscharakter? Haben wir uns befreit von der bevormundenden Kraft der Zukunft oder taumeln wir fortan richtungslos durch die weitere Geschichte? Muß man gar befürchten, „daß ein wesentlich ziel- und endloses Spiel [in der Politik] gewöhnlich in sehr kurzfristigen Katastrophen endet“ (Hannah Arendt)? Ist die kulturformende Kraft des Abendlandes erschöpft oder sollen wir froh sein, den Ballast über Bord geworfen zu haben? Hier werden die Grundlinien eines „Jahrtausendwechsels“ sichtbar, der sich nicht am Dezimalsystem sondern an geschichtlichen Prozessen orientiert. Ihm soll unsere Untersuchung gewidmet sein, denn mit dem Ende der zweitausendjährigen Tradition der teleologischen Weltbilder wird sich der Charakter der Zeit selbst wandeln. Zukunft und Vergangenheit werden nicht mehr das sein, was sie einmal waren. Das soll unser Thema sein.
Als erstes müssen wir die Frage beantworten, wie eigentlich Zeit entsteht? Oder, zunächst statischer gefragt, was eigentlich Zeit ist? Dabei sind wir uns bewußt, Gefangene unserer Sprache zu sein. Wir können der Versuchung nicht widerstehen, aus unserem Gefängnis wenigstens einen Blick auf einen anderen Zelleninsassen zu werfen, der sich nicht in unser abstraktes, von Technik und Philosophie geprägtes Zeitverständnis hat treiben lassen. Dieser flüchtige Blick hat nur einen Grund: Wir wollen zunächst ganz unbefangen zur Kenntnis nehmen, daß die eine Zeit ein logisches Konstrukt ist, dem die vielen Zeiten gegenüberstehen, die denkbar, erfahrbar und lebbar sind.
Der Psalmist des Heiligen Buches der Juden, indem er ausrufen konnte: „Meine Zeit steht in deinen Händen.“, ahnte bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden, daß es neben seiner noch andere Zeiten gibt. Nein, sagen wir es anders: Seine Sprache erlaubte es ihm gar nicht, die Zeit auf eine unwiederbringliche Abfolge von Sonnenuntergängen zu reduzieren. In seiner Sprache, dem alten Hebräischen, gab es die Modi von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gar nicht. Wenn etwas im Geschehen begriffen war, so legte sich die Zukunft untrennbar auf die Gegenwart. „Das Volk, die in Finsternis gehen, /ersehen ein großes Licht, /die Siedler im Todschattenlande, /Licht erglänzt über sie.“ Was Martin Buber präsentisch in unsere Sprache überträgt, bezeichnet eine Sprachlehre des alten Hebräischen mit einem in unserer Sprache unlogischen Fachbegriff, den sie nur in Gänsefüßchen zu präsentieren wagt: „perfectum propheticum“. Ein für die Zukunft zugesichertes Ereignis wird als bereits vollendet gedacht. Das erst in der Zukunft Geschehende überstrahlt die Gegenwart und geht damit in sie ein; erfahren kann man diese Zukunft aus den alten Büchern - aus der Vergangenheit. Das Kommende bestimmte auch das Gewesene und ist deshalb seit Urzeiten vorformuliert. Freilich ist es auch in dieser Sprache möglich zu sagen: „Das ist vorbei. Das kommt nicht wieder.“ Man kann auch sagen: „Wir treffen uns heute. Wenn du morgen kommst, ist es zu spät.“ Doch bleiben die Zeit-Modi miteinander verwoben, so wie sich die Zeit unseren Sinnen darbietet. Zeit ist nicht eine Linie; sie ist keine Funktion der relativen Geschwindigkeit zweier Objekte - sie ist das Medium des Lebens, kann ruhen, sich überstürzen, ja sie hat nicht nur einen Zahlenwert sondern eine Qualität. Gute Zeiten wechseln mit gottlosen. Nur unter diesem Verständnis ist jenes „Jegliches hat seine Zeit“ mehr als eine Platitüde. Unsere modernen Sprachen, vornehmlich das Deutsche, kennen die Verwobenheit der Zeiten ineinander nicht. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haben je ihre eigene grammatikalische Form. Zeitverständnis und sprachliche Form bedingen einander. Wir nehmen es zur Kenntnis und kehren zunächst in unsere Zeitwüste zurück - dies aber nur, um uns ein weiteres und breiteres Zeitverständnis zu erobern.
Was also ist in unserer Sprache „Zeit“? Versuchsweise und etwas tautologisch könnte man antworten: Zeit ist die Gesamtheit jener Zeitscheiben, innerhalb derer ich nicht mehr oder gerade oder noch nicht handeln kann. Das ist für unsere Zwecke zunächst hinreichend korrekt. Wie soll ich mir diese Zeit vorstellen? Doch nicht etwa als einen chaotischen Haufen von Zeitfragmenten, sondern als geordnete Reihe von Einheiten, belegbar mit einer Folge natürlicher Zahlen, vorwärts gezählt, von heute ab rückwärts oder vorwärts in die Zeit. Für die Kosmologen unter uns gilt der Jahresrhythmus selbst dann noch (Verzeihung: schon), da weder Sonne noch Erde existierten, um gemeinsam vor dem Hintergrund des Firmaments die Jahre zu zählen. Verwirrend, nicht? Darf ich „gestern, zehn vor zwölf“ sagen, wenn ich mir erst heute einen Wecker gekauft habe? Irgend etwas in uns sagt uns, daß wir das getrost tun dürfen, ja sogar müssen. Die beruhigende Eintönigkeit der Sonnenuntergänge, die Wiederkehr der Jahreszeiten, das rhythmische Pulsieren mancher Sterne, die eintönigen Lichtblitze vieler Atome, die erkennbare Wiederkehr des Gleichen gibt uns das Recht, ein Netz von gedachten Perioden über die Zeit zu werfen, das uns zumindest eine numerische Orientierung in ihr ermöglicht. Diese Form von Zeit hat natürlich etwas platonisches. Sie ist eine Idee, die bei genauerem Hinsehen in einen Widerspruch zwischen Mathematik und Empirie zerfällt. Nehmen wir ein Beispiel. Da die Erde alle zehntausend Jahre in ihrer täglichen Rotation um eine Sekunde langsamer wird, fehlte dem Pithecanthropus bereits fast eine Minute an unserem Tag. Die letzten Dinosaurier mußten sich beim Fressen beeilen. Ihr Tag dauerte nur 22 Stunden; entsprechend eher wurde es dunkel. Stelle ich mir die in unserem Zusammenhang gar nicht scholastische Frage, wieviel Tage seit den letzten Dinos vergangen sein mögen, dann muß ich mich zwischen zwei Arten von Tagen entscheiden. Meine ich damit die Zahl der Sonnenuntergänge oder die Zahl jener Tage, die sich aus 86.400 durch die Schwingungen eines Cäsiumatoms definierten Sekunden zusammensetzen lassen? Wir ersparen uns die relativ geringe Verblüffung über das tatsächliche Auseinanderdriften der Rechenergebnisse. Auch die sehr schwer zu entscheidende Frage, welches dieser beiden Tagesmaße denn das platonischere und welches das empirischere sei, müssen wir bedauernd übergehen.
Trotz aller Unterschiede ist allen Definitionen des Zeitmaßes nämlich eines gemeinsam: Eine Einheit von Zeit definiert sich als Das zwischen zwei Ereignissen oder Konstellationen, wobei wir mit Weizsäcker voraussetzen, daß etwas dazwischen geschieht. Geschähe nichts dazwischen, hätten wir die kleinste Zeiteinheit gefunden, unterhalb derer die Zeit (zumindest ihre bekannten Eigenschaften) verschwände.
Ein astronomischer Tag ist dann zu Ende, wenn ein bestimmter Stern, der möglichst weit weg sein muß, wieder an seiner alten Stelle steht. Woher aber weiß ich, daß er wieder an seiner alten Stelle steht? Die Antwort ist ebenso schlicht wie problematisch: Weil ich mich erinnern kann, daß er dort schon einmal stand. Erst wenn ich sagen kann: „Da ist ja der Stern wieder, den ich schon einmal gesehen habe!“, kann ich sagen: „Ein Tag ist vergangen.“ Wie kommt das, daß ich den Stern, der doch über zwölf Stunden „verschwunden“ gewesen war, wiedererkenne? Nun, zunächst hat er so wenig Masse verloren, daß er dem unbefangenen Betrachter als der von gestern erscheint, vergleicht er seinen aktuellen Sinneseindruck mit seiner Erinnerung. Wäre der Stern inzwischen um einen erkennbaren Bruchteil geschrumpft, müßte der Betrachter fragen, ob sich entweder seine Erinnerung verändert hätte oder der Stern oder beides. Je nach Beantwortung der Frage würde der erste Erkenntnistheoretiker, der zweite Naturforscher und der dritte Interaktionswissenschaftler werden. Alle drei aber würden einen Prozeß annehmen, der erklärt, warum der Stern von heute der selbe sei wie der von gestern, obwohl er anders aussieht. An die Stelle des Bildervergleichs tritt die Erzählung. Sie sagt, daß - obwohl der dazwischenliegende Prozeß den Sinnen entzogen ist - tags dies oder das (oder beides) passiert sein müßte. Die hier in Scharen wartenden erkenntnistheoretischen Probleme - wir berufen uns auf Kant - beiseite schiebend, konstatieren wir: Zeit gibt es nicht nur in der Erinnerung, sondern erst durch die Erinnerung. Damit haben wir die Zeit im erkennenden Subjekt etabliert, das ja wohl das einzige ist, das über die Fähigkeit des Erinnerns verfügt. Wir extrahieren aus den eben vorgelegten Darlegungen drei Formen von Zeit, die sich wechselseitig bedingen: die mathematische Zeit, die ein numerisches Netz von gleichförmigen Perioden über ihren Gegenstand wirft, unabhängig von dem, was da geschehen sein mag; die vergleichende Zeit, die behauptet: „Jetzt ist etwas wieder so!“; die erzählende Zeit, die rekonstruiert, warum etwas so gekommen ist (genauer: warum etwas nicht wieder genauso gekommen ist).
Zugleich werden wir uns eines Flüchtigkeitsfehlers bewußt, der in unserem Nachdenken noch eine entscheidende Rolle spielen wird: Erinnern kann sich der Mensch nur an die Vergangenheit. Die von uns konstruierten Zeitverständnisse reichen also höchstens aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Für die Zukunft steht der Nachweis noch aus. Das wollen wir jetzt schnell nachholen: Der mathematischen Zeit dürfte es nichts anhaben, ob wir - irgendeinen streng periodischen Prozeß im Voraus setzend - nach vorwärts oder rückwärts bis ins Unendliche zählen. Daß aber die Erwartung des Gleichen etwas völlig anderes ist als die Erinnerung an das Gleiche, läßt sich leicht veranschaulichen. Ich kann zwar jetzt behaupten, daß ein Sinneseindruck mit einer Erinnerung identisch ist. Nur zu einem zukünftigen Zeitpunkt aber werde ich behaupten können, daß das, was ich in der nunmehrigen Vergangenheit erwartet habe, mit meinem Sinneseindruck identisch ist. Die der Vergangenheit analoge Verstandesoperation werde ich also erst dann vollziehen können, wenn die Zukunft zur Gegenwart und die Gegenwart zur Vergangenheit, also das Erwartete zum Sinneseindruck und der Sinneseindruck zur Erinnerung geworden ist. Mit anderen Worten: Nur über die Vergangenheit kann ich in der Erinnerung verfügen - über die Zukunft nicht. Dies gilt vor allem für die erzählende, aber auch die vergleichende Zeit. Allein die mathematische Zeit ist zeitlos. Wir erwarteten es.
Auch jetzt brechen wir ein paar Zweige aus dem Baum sich verzweigender Erkenntnismöglichkeiten heraus. Wir hätten darüber zu berichten, daß man die mathematische Zeit unschwer mit der Zeit der klassischen Physik identifizieren könne, daß sie keine Modi, wie Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit kenne, daß man in ihr unbedenklich Ursache und Wirkung vertauschen könne, ohne die Energiebilanz zu verletzen. Wir könnten darüber nachdenken, daß die vergleichende Zeit zu einem zyklischen Weltverständnis führen müsse, das manchen Naturreligionen eigen ist. Schließlich müßten wir auch darauf verweisen, daß die erzählende Zeit ein lineares Geschichtsverständnis impliziert, das unter einer bestimmten Interpretation des Zweiten Thermodynamischen Hauptsatzes sogar auf die Quantenphysik anwendbar ist. Wir würden uns an Hegels Geschichtsverständnis vergreifen müssen und mit der Zeit das Thema aus den Augen verlieren.
Kehren wir also zum Kern zurück: Wir wollten die Frage untersuchen, ob und auf welche Weise sich je das Verhältnis von Zukunft und Vergangenheit zur Gegenwart durch unseren Epochenwechsel verändern könne? Dazu haben wir nun die gedanklichen Voraussetzungen geschaffen. Wir werden nicht mit der mathematischen Zeit operieren. In ihr sind die Zeitmodi qualitativ nicht unterscheidbar. Sehr knapp präzisiert: Wir schlagen uns gegen Einstein auf die Seite Bergsons, nehmen aber durchaus Anleihen bei der Quantentheorie auf. Die zyklische Zeit unterscheidet die Modi nur anhand der Vorzeichen „nicht mehr“, „jetzt“ und „noch nicht“. Wir entliehen diesem Verständnis unsere obige vorläufige Bestimmung von dem, was Zeit sei. Erst die erzählende Zeit erlaubt es uns, indem sie den Zeitmodi unterschiedliche Qualitäten zuordnet, die Interdependenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beschreiben, so wie wir dies bereits zu Eingang dieses Abschnittes an der althebräischen Sprache antizipiert haben. Das werden wir zunächst an einem schlichten Beispiel - einem Traum - exerzieren, um dann für die Vergangenheit und die Zukunft angemessene Schlußfolgerungen zu ziehen.
Zunächst müssen wir ein merkwürdiges Ringaxiom aufdecken, das uns im folgenden Text in eine gewichtige Aporie führen wird. Erinnerung, so sagten wir im letzten Abschnitt sei die Voraussetzung für Zeit. Zeit aber ist unabweisbar auch die Voraussetzung für die Erinnerung. Nur wenn wir - wir folgen wieder Kant - eine streng lineare Ordnung in die Erinnerungen bringen können, ist es uns vergönnt zu sagen: „Diese Erinnerung war (ist? ) früher als jene.“ Zwischen Zeit und Erinnerung existiert also so etwas wie ein selbstreferentieller Bezug. Beide erklären sich gegenseitig. Theoretisch könnte man sogar behaupten, daß sich irgend etwas im Charakter der Zeit ändern müßte, je nachdem welchen der beiden Pole (Zeit oder Erinnerung) ich zum Ausgangspunkt meiner Reflexion mache. Wir verzichten jedoch auf logische Ableitungen und wenden uns der Realität zu, einem Traum.
Letzte Nacht träumte mir, eine gläserne Ente watschelte über eine Straße. Ein Lastkraftwagen donnerte heran. Reifen quietschten und die Ente ging zu Bruch. Ende des Traumes.
Am nächsten Morgen sah ich, daß es nachts in der Nähe meines Hauses einen Unfall gegeben hatte. Aha, daher also der Traum. Mein Gehirn hatte in schlafendem Zustand wohl die Geräusche wahrgenommen und in eine Traumstory übersetzt. Ein Vorgang, nicht der Rede wert, wenn... Auf eine merkwürdige Weise fiel mir plötzlich ein Essay ein, den ich über die Zeit schreiben wollte, weil eine Zeitung bei einem Wettbewerb mit sympathisch hohen Preisen winkte. Im gleichen Moment wußte ich, daß es diesen Traum nicht geben durfte. Er war unmöglich! Nehmen wir an, mein träumendes Gehirn wollte die ungewöhnlichen Geräusche, die es nachts wahrgenommen hatte, in eine traumhaft-plausible Ereigniskette verpacken. Es schickt also das Phantasiegebilde der Ente los. Der wirkliche Lastwagen knattert heran, wirkliche Reifen quietschen, wirkliches Glas splittert. Im Traume sehe ich das bedauernswerte Geschöpf unter dem geträumten Wagen zerbersten - das Ganze untermalt von Orginaltönen. Eine solch einleuchtende Abfolge ist des Aufwachens nicht wert.
Doch die Erklärung hat einen Haken. Die geträumte gläserne Ente trat auf die Straße, bevor der Unfall passierte. Wie konnte mein Gehirn zu diesem Zeitpunkt wissen, was gleich geschehen würde, um bereits jetzt, gleichsam vorsorglich, das Traumgebilde auftreten zu lassen? Genau genommen begann der Traum sogar im Wissen um das Ende des Unfallgeschehens. Die vor dem Unfall auftretende Ente mußte aus Glas bestehen, denn sie sollte mir im Traum das spätere Bersten der Autoscheibe deuten. Hat mein Hirn auf geheimnisvolle Weise den Bruch vorausgesehen? Ich erinnere mich genau. Es war nur das My einer Sekunde: Jäh sah ich das Bild der Ente aufblitzen, erkannte gerade noch ihren plumpen Gang und die gläserne Beschaffenheit, da knallte es auch schon. Aber das Tier war bereits vorher da. Ursache und Wirkung wurden hier auf merkwürdige Weise ineinander verwoben. Das Geräusch des Unfalles evozierte einen Traum, der bereits vor dem Ereignis begann und alles so arrangierte, daß das Ereignis auch eintreffen würde - freilich in phantastischer Weise modifiziert, aber doch so, daß der wirkliche Knall in der Traumstory an der richtigen Stelle plaziert würde. Die Ursache in der Gegenwart rief eine Wirkung in der Vergangenheit hervor, die mir wiederum die Gegenwart erklärte. Nur mittels Vernunft läßt sich die Logik der Ereignisse retten: Auf dem Weg des physikalischen Reizes von meinem Ohr zu dem schlummernden Bewußtsein meiner selbst hatte mein Gehirn wohl die Information verarbeitet. Bevor mein Ich erlebte, was „wirklich“ geschah, wurde es mit einer vorgeschalteten Story versorgt, die das Geschehen deutete. Ursache bleibt also in Wirklichkeit Ursache und Wirkung Wirkung. Die Abfolge der Ereignisse hat ihre strenge Logik zurück. Ich habe es nur anders erlebt. Doch dieses eben dahingeschriebene „nur“ läßt mich sogleich erschauern. Da stehen sich zwei Zeiten gegenüber. Die eine habe ich selbst erlebt, sie steht in meiner Erinnerung plastisch vor mir: Die Ente war vor dem Knall. Die andere Zeit habe ich logisch rekonstruiert. Sie ist abstrakt, aber evident: Die Ente muß nach dem Knall gewesen sein. Bestimmen wir die Richtung der Zeit als unumkehrbare Abfolge von Ursache und Wirkung, dann sind erlebte und rekonstruierte Zeit in diesem Fall exakt gegenläufig.
Natürlich ruft eine derartige Verdoppelung der Zeit einen Schrei der Empörung in uns aus. Wir haben es doch im Blut: Die Zeit ist Eine. Sie läuft nicht einmal so, einmal so. Auch eine Uhr, die rückwärts geht, bedient sich der Zukunft. Dennoch, der Zweifel ist gesät. Möglicherweise sind wir bereit, das Auseinanderfallen von erlebter und abstrakter Zeit im Reich der Träume noch hinzunehmen. Wer aber garantiert uns, daß nicht irgend etwas unsere Wahrnehmung auch im wachesten Zustand nach unterschiedlichsten Mustern ordnet, die wir dann zusammenfassend Zeit nennen? Gehört nicht gerade die Erschütterung des urtümlichen Vertrauens in die Wahr-Nehmung der Sinne hinsichtlich der Zeit zu den frühesten Einsichten unserer Kultur? Der Einwand der Vernunft gegen das sinnliche Erleben von Zeit hat Tradition bis zurück zu Parmenides. Mißtraue deinen Sinnen. Sie gaukeln dir eine Zeit vor, die es gar nicht gibt. Es befällt uns erneut der alte Zweifel, die Ordnung der Zeit, wenn sie denn schon so leicht durcheinander zu bringen ist, könnte der Tätigkeit einer Art gauklerischen Dämons Maxwellscher Provenienz entspringen, der uns die Wirklichkeit nach fragilen Ordnungsmustern präsentiert. David Hume hätten wir - nach einer nachdenklichen Pause - auf unserer Seite; allein der alte Königsberger, Immanuel Kant, würde verächtlich mit den Schultern zucken. Wir sind unter seinem Niveau geblieben.
Was sollen wir tun? Anders als Parmenides, der aus logischen Schlüssen heraus die Existenz von Zeit bestritt, erklären wir die Alternative von Sein oder Schein für irrelevant und untersuchen die Struktur dessen, was sich da durch unsere Sinne oder sonstwie als Zeit präsentiert. Und tatsächlich, einmal auf den Gedanken gekommen, entdecken wir: Die gläserne Ente ist ein Urmuster unserer Vergangenheit. Um es methodisch zu pointieren: Nehmen wir im Ringaxiom zwischen Erinnerung und Zeit auf dem Pol der Zeit Platz, um den Vorgang zu analysieren, erweist sich die Erinnerung als etwas höchst trügerisches. Sie ist nicht absolut in dem Sinne, daß wir sagen können: „Ich habe eine Erinnerung an fünf vor zwölf. Also ist zu diesem Zeitpunkt das und das geschehen.“ Die Erinnerung an „fünf vor zwölf“ kann erst drei nach zwölf entstanden sein. Hier sind wir dem Wesen der Teleologie auf der Spur. Erheben wir die am Traum der gläsernen Ente gewonnene Erkenntnis zum Paradigma der Erkenntnis, so können wir sagen: Teleologien beziehen sich auf Fiktionen von Vergangenheit, die das So-Sein der Gegenwart zu erklären können behaupten. Aus dieser Fiktion auf ein „Sollen“ des geschichtlichen Werdegangs in der Zukunft zu schließen, ist dann leicht. Man braucht nur den vorgezeichneten Spuren zu folgen. So wie die gläserne Beschaffenheit der Ente ihr „Sollen“, ihre Vorherbestimmung zu zersplittern, kennzeichnete, genauso ist unsere Vergangenheit voll von nachträglich eingezeichneten Erinnerungen, die ein „Sollen“ damaliger geschichtlicher Situationen suggerieren. Wenden wir uns also der Vergangenheit zu.
Was also, so formulieren wir unseren Zweifel, wenn die Vergangenheit nicht Erinnerung an „wirklich“ Vergangenes ist, sondern nur eine phantastische Story, die wir - bewußt oder unbewußt - vor unsere Gegenwart schalten, um deren So-Sein zu erklären? Wir befürchten, unsere Vergangenheit sei möglicherweise gar nicht mit der (objektiv) Vergangenheit identisch, sondern ein Produkt unserer Phantasie. Dieses Hervorbringsel habe keinen anderen Zweck, als uns die Sicherheit zu geben, daß die Vergangenheit in geordneten Bahnen in die Gegenwart münde. Der Sinn einer solchen Übung ist leicht einzusehen: Nur wenn sie ein Produkt der Vergangenheit ist, kann jede Gegenwart in eine neue Gegenwart münden. Das nennen wir Dauer.
Betrachten wir vor allem die vergangenen Vergangenheiten, die kaum noch jemand ernsthaft für die Vergangenheit hält, so könnten wir Seite um Seite mit historischen Belegen über „gläserne Enten“ füllen: Die Vertreibung aus unserem Paradies am Beginn der Zeit erklärt uns, wieso Frauen beim Kinderkriegen Schmerzen ertragen müssen, und wieso unsere Äcker dazu neigen, Dornen und Disteln zu tragen. Das Rätsel des Sterbens erklärt sich als die Folge des Aufstandes des ersten Menschenpaares gegen seinen Schöpfer. Das harmonische Dasein in der Urgesellschaft klärt uns über die entfremdende Wirkung unserer Gesellschaft auf und gibt uns die Möglichkeit zurückzukehren, indem wir in einem revolutionären Akt die angebliche Vergangenheit neu erschaffen. Die ersten halbwegs rechtschaffenen Menschen hockten sich um ein Feuer und schlossen einen Vertrag: fürderhin würden sie sich zu einem überindividuellen Subjekt, einem Souverän verbünden, um gemeinsam die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Ich persönlich hatte bei der Geburt meine Nabelschnur um den Hals; heute noch leide ich unter zyklischen Depressionen und Angst beim nächtlichen Einschlafen. Gläserne Enten, wohin man schaut: Die Gegenwart wird durch eine Vergangenheit gedeutet, die es nie gegeben hat, aber bestens dazu geeignet ist, unser So-Sein zu erklären. Bei manchen ist das reflektierte Methode, wie bei Rousseau; andere projizieren ihre Vergangenheit unbekümmert in die Vergangenheit, wie Marx.
Nun wird wohl keiner so naiv sein zu behaupten, die jeweilige Gegenwart bilde nur ihre gegenwärtigen Interessen und Wahrheiten in der Vergangenheit ab, um sie von dort her als ewige zu legitimieren (Platon empfiehlt in der Politeia den Politikern unumwunden, spezielle Mythen zu erschaffen, um effektiver herrschen zu können. ). Dieses Verfahren, das vor allem autoritären Regimen eigen ist, wäre uns zu simpel, als das wir es erwähnen müßten, wenn wir dadurch nicht den Faden in die Hand bekämen, der zwischen Gegenwart und Vergangenheit aufgespannt ist. Den Grund zu erraten, warum Vergangenheit bewußt gefälscht wird, ist nicht schwer. Die Vergangenheit, so lautet das allgemeine Vorurteil, sei unserem Handeln entzogen. Wenn dort das „Richtige“ (sagen wir: die Klassenauseinandersetzungen von der Sklavenhaltergesellschaft bis zum Imperialismus) schon immer geschehen ist, dann erklärt es auch, warum es auch heute geschehen muß. Wenn die Weisen von Zion schon immer die Weltherrschaft planten, dann erklärt das auch, warum die Juden heute eine Weltverschwörung betreiben. Eine neue Vergangenheit schafft mit einem Schlag eine neue Gegenwart. Doch eine neue Vergangenheit schafft auch neue Probleme. Wir sind eine Kultur, die ihre Überlieferungen bewahrt. Was wird aus den alten Vergangenheiten? Totalitäre Regime verbrennen sie einfach, autoritäre zwingen ihnen eine neue Deutung auf. Zu ihren vielen Feinden gehört auch die Vergangenheit. Wer aber unter normalen, das heißt pluralistischen, Verhältnissen nach der Vergangenheit forscht (sagen wir: dem 2. Weltkrieg), der muß erklären wie sein 2. Weltkrieg mit dem 2. Weltkrieg der fünfziger Jahre oder dem der siebziger Jahre zusammenpaßt. Die verschiedenen Vergangenheiten stehen gegenwärtig miteinander im Diskurs. Was in diesem Gespräch geschieht, gilt es zu untersuchen.
Franz Fühmann hat dem großen alten Kerényi folgend, das Verhältnis zwischen Gegenwart und dieser Art von Vergangenheiten am Beispiel des Mythos aufgedeckt. Wir verpacken deren Erkenntnisse in folgende handliche Story: Ein Mann beschreibt seine Erfahrungen mit seiner Geliebten. Er macht davon zwanzig Abschriften und schickt sie seinen Freunden und Bekannten. Einer seiner Freunde hebt das Papier getreulich auf und vererbt es an seine Enkel. Ein Bekannter, dem solche Ergüsse nicht geheuer sind, steuert seine Erfahrungen in Form eines Spottgedichtes bei. Ein dritter nimmt beide Papiere als Vorlage, um über seine eigenen Erfahrungen zu reflektieren. Alles schreibt ab, schreibt um, schreibt neu. Ein Teil geht verloren, ein Teil ist literarkritisch rekonstruierbar, ein Teil... ein Teil. Nach Generationen ist ein unübersehbares Meer von Schriftstücken entstanden, die alle behaupten, die Geschichte jenes längst verblichenen Mannes mit seiner Geliebten zu erzählen. Unter ihnen befinden sich einige Exemplare, die die von vielen Schreibern überlagerte Erfahrung „eines Mannes mit seiner Geliebten“ besonders prägnant beschreiben. Viele die das lesen, sagen: „Ja, so ist es!“, obwohl sie eigentlich sagen müßten: „Ja, so muß es gewesen sein.“ Genauso der Mythos: Generation um Generation haben immer neue Varianten von Urgeschichten entworfen. Sie haben ihre jeweiligen Erfahrungen eingetragen in die Erzählung vom prometheischen Wesen, von Ödipus, Antigone, von Zeus und Hera, den Titanen. Von Mund zu Ohr Erzähltes, in Stein Gemeißeltes, auf Papyrus Verzeitlichtes wurde mit den neuen Erfahrungen verquickt, umgeformt, neu erzählt. Die Mythen erwiesen sich als Speicher von Erfahrungen des Menschen mit sich selbst: vom Herrschen und Beherrschtwerden, vom Lieben und vom Leiden, Schaffen und Zerstören - und was derlei Antipoden mehr sind. Die mythischen Erzählungen waren bald so gesättigt mit Erfahrung, daß ein Lebensalter schon lange nicht mehr ausreichte, sie zu überbieten. So entstand jenes merkwürdige Phänomen, daß wir (sinnvollerweise!) auf die in der Vergangenheit spielenden Mythen schauen, um von dort her etwas über uns selbst in unserer Gegenwart zu erfahren. Wen wunderts angesichts dieser Tatsache, daß zumindest der antike Grieche geneigt war, sein Leben nach ihnen einzurichten und sie so zusätzlich zu bewahrheiten? Die Schicksale aus grauer Vorzeit, die so nie geschehen sind, werden so zu Vor-Bildern, die unsere Gegenwart bestimmen (Wir verweisen auf Freud. ). So ändert sich die Vergangenheit täglich. Wir tragen unsere Gegenwart in sie ein, um uns in ihrem Spiegel selbst zu erkennen.
Der logische Denker, der sich bis hierher zurückgehalten hat, mag nun endlich seinen lange unterdrückten Einwand hervorbringen: Aber, das ist doch nicht die wirkliche Vergangenheit. Dort, wo der Grieche Götter sah, war etwas anderes. Der Geist Gottes schwebte nicht auf den Wassern. Die Idylle der marx´schen Urgesellschaft war in Wirklichkeit eine ziemlich blutrünstige Angelegenheit. Rousseau gibt selbst zu, daß sein Gesellschaftsvertrag eine historische Fiktion ist. Mag sein, aber die Vergangenheit, von der wir reden, wirkt bis heute, also ist sie wirklich: Rousseau sagt, die Menschen verhielten sich so, als hätten sie den Vertrag wirklich geschlossen. Kain ist noch immer gezeichnet vom Mal des Brudermordes, obwohl inzwischen Generationen ins Land gegangen sind. Wer wüßte das nicht besser als die Deutschen? Antigone muß sich auch heute entscheiden zwischen Liebe und Macht; und ihre Entscheidung wird die Liebe wie immer zum Machtspiel pervertieren, wie jüngst Anouilh schlüssig bewies. Aber ist sie noch die Antigone des Sophokles oder gar die Antigone der Vorlage, die der Grieche benutzte? Wie hat sich selbst der unwandelbare Christus, der Sohn Gottes, gewandelt, bezeugt einfürallemal in der Heiligen Schrift. „Nur wer für die Juden schreit, darf Hosianna singen.“ Das wußte der Christus zu Luthers Zeiten noch nicht, erst recht nicht der des Neuen Testaments. Zu Bonhoeffers Zeiten starb er zusammen mit seinen jüdischen Schwestern und Brüdern im Gas. Jede Gegenwart hat ihre eigene Vergangenheit. Die Geschichte der Vergangenheiten bildet unsere Gegenwart.
Nun wird man freilich einwenden können, daß der Mythos und das moderne Geschichtsbild möglicherweise etwas Unterschiedliches sein könnten. Doch bei genauerem Hinsehen ist selbst die wissenschaftliche Erklärung des Beginns unseres Kosmos nichts anderes als die akkumulierte menschliche Erfahrung mit der Welt. Was sucht der Mensch am Anfang der Welt, wenn nicht das, was die Welt im innersten zusammenhält? Genauer gesagt: Was sie heute bestimmt? Die von v. Weizsäcker postulierten Ur-Teilchen finden sich sowohl in den Tiefen des mikrokosmischen Raumes als auch am Anfang der Welt. Aus ihnen läßt sich die Geschichte des Kosmos samt den Gesetzen herleiten, die die Gestirne um die Sonnen und die Elektronen um die Atomkerne treiben. Die „Urs“ sind der Garant dafür, daß die Welt „eine“ (en) ist und dennoch eine Geschichte hat, aber auch dafür, daß sie erkennbar ist. Im Anfang des Kosmos erkennen wir, so können wir mit Weizsäcker sagen, die Bedingungen der Möglichkeit, warum die Welt heute so ist, wie sie ist. Was akkumuliert sich da in den fernen Vergangenheiten des Urknalls, wenn nicht das versammelte Wissen der heutigen Menschheit über die ach so unanschauliche Mechanik der kleinsten Teilchen, die Erkenntnisse der Philosophie und Mathematik seit frühen griechischen Tagen? Als sich das erste Ur entschied, so zu sein, gebar es die Gesetze der Mathematik, setzte die Zeit in Gang, entfaltete den Raum - und gab uns Nachgeborenen die Möglichkeit, es samt seiner Geschichte in einer einheitlichen Theorie zu fangen: Logik und Dialektik sind aus einem übergeordneten Prinzip ableitbar, Geschichte und unveränderliches Sein stehen nicht im Widerspruch, Wissen und Welt sind letztlich das Gleiche, die Gesetze der Statistik und der Kausalität behindern sich nicht mehr gegenseitig, die Einheit erweist sich als der Urgrund der Vielheit. Haben wir nicht seit v. Weizsäcker eine faszinierenden neuen Mythos, eine neue Vergangenheit? Gibt es noch einen einzigen Menschen, der von sich behaupten könnte, das im Anfang der Welt geparkte Wissen in einem Lebensalter in sich aufnehmen zu können? Wie müssen uns die vergangenen Philosophen um unsere Vergangenheit beneiden!
Nach der Vergangenheit scheint es zunächst überflüssig zu sein, auch noch die Zukunft zu traktieren. Tatsächlich könnte man nun Seite um Seite mit der Analogie zwischen Zukunft und Vergangenheit füllen. Man könnte darüber sprechen, daß die Zukunft in die Gegenwart wirke, daß Pläne und Utopien Ursachen seien, die rückwärts gegen den Strom der Zeit ihre Folgen in die Gegenwart induzieren. Als Kennedy das Ziel anvisierte, seine Nation als erste auf dem Mond zu verewigen, ließ er sich von einer Zukunft treiben, deren Gegenwart er selbst nicht mehr erlebte. Man könnte auf den Wandel der Zukunft in der Vergangenheit verweisen: Marx hatte eine andere Zukunft als Teilhard de Chardin, obwohl beide Hegels Kinder sind. Hans Jonas hatte, um es etwas böse zu formulieren, aus prinzipiellem Verantwortungsbewußtsein die Zukunft schon einmal fast abgeschafft. Der Leser fürchtet sich mit Recht vor solchen Kapiteln, in denen jeder Satz nur ein „Wie ich schon sagte...“ impliziert. Und der Autor dieser Zeilen wird einen Teufel tun, jene Eintönigkeit aufkommen zu lassen, die der Tod jeder Zukunft ist. Wir haben auch einen guten Grund dazu, den uns sowohl die Quantenmechanik als auch die alltägliche Erfahrung lehren: Zukunft ist etwas völlig anderes als zukünftige Vergangenheit. Mit anderen Worten: eine Sekunde wechselt just in dem Augenblick ihre Qualität, da sie aus der Zukunft auftauchend die Gegenwart durchstreift und in der Vergangenheit versinkt. So erleben wir auch die Zeit: Wohl fürchten wir uns vor dem Nichts, in das der Tod uns stürzen wird; doch irritiert uns das Nichts, aus dem wir kommen, höchstens einmal in einer nachdenklichen Stunde. Zukunft und Vergangenheit haben einen unverwechselbaren, differierenden existentiellen Bezug. Wohl kann der Physiker behaupten, er habe ein Teilchen mit einer speziellen Versuchsanordnung zu einer bestimmten Reaktion gezwungen; doch ob ihm das bei gleicher Versuchsanordnung nochmals in gleicher Weise gelingen wird, ist nur mit gewisser Wahrscheinlichkeit voraussagbar. Was also ist das Besondere an der Zukunft, was die Vergangenheit nicht hat?
Bettina von Arnim schreibt in ihrem Königsbuch: „Bedenken Sie! - Sehn Sie drei Schritte vor sich, da tritt die Zukunft auf. Vor der kann Theorie und Erfahrung nicht bestehen; sie veralten vor der Freiheit des Geistes. Und das ist die Macht der Zukunft!“ Dieser Satz ist politisch und philosophisch gemeint. In seiner philosophischen Interpretation heißt dieser Satz doch nichts anderes als: Die Vergangenheit ist ein untaugliches Mittel, um die Zukunft erkennen zu können. In dieser Behauptung aber liegt mehr verborgen als der erkenntnistheoretische Skeptizismus David Humes. Es ist eine Aussage über die Struktur der Zeit. Die Zukunft ist mehr als die Summe aller Folgen der Gegenwart. Mit zwei komplementären Halbsätzen pointiert: Für die Zukunft gilt weder das Kausalgesetz (Erfahrung), noch das Gesetz des logischen Schließens (Theorie). Wollte man mit ihrer Hilfe die Zukunft erkennen wollen, so zwänge man sie in das Prokustesbett der Vergangenheit und beraubte sie ihrer eigenen Qualität.
Bettina läßt Frau Rat hier auf die Vorhaltungen des Pfarrers antworten, der ebenso doppelbödig im Reich der Politik wie der Philosophie agiert. Der Pfarrer, literarisches Geschöpf sokratischer Methode, formuliert seine Antithese innerhalb der Arnimschen Axiomatik: Um der Unberechenbarkeit des Geistes (der Zukunft) zu entgehen, die durchaus in blindwütiges Morden übergehen könne, dürfe man unmöglich „den ganzen Zeitenstrom des Bewußtseins ohne Kontrolle über sich hinaus lassen gehn.“ Gewollt ist damit durchaus nicht Stagnation, die Wiederholung des immer Gleichen. Was Bettina als „Freiheit des Geistes“ bezeichnet, sieht der Pfarrer durchaus als schöpferische Potenz der Zukunft, die freilich durch die Staatskunst vor einem drohenden Abgleiten ins Chaos bewahrt werden müsse. Die Zukunft müsse gewissermaßen vor sich selbst geschützt werden. Streiterin und Streiter formulieren auf der Basis einer gemeinsamen These eine grundsätzliche Alternative. Die gemeinsame These lautet: die Zukunft ist offen, also nicht determiniert. Die Frau Rat zieht daraus den Schluß, die Gegenwart müsse die Zukunft als schöpferische Kraft sui generis nur zulassen. Sie erweist sich damit als unverbesserliche Optimistin, die für ihr Urteil über die Zukunft zudem keinen Erfahrungsgrund benennen will und auch nicht kann. Der Pfarrer dagegen verlangt einen Entwurf von Zukunft, der deren chaotische Potenzen zähmt und so für die Gegenwart nutzbar macht. Der Anschein des reaktionären Gralshüters der Vergangenheit trügt nicht, hat er doch die Notwendigkeit teleologischer Weltbilder begründet. Das teleologische Weltbild betreibt, anders als es scheinen will, nichts weiter als die notorische Fortschreibung der Vergangenheit in die Zukunft.
Hier haben wir zwei fundamentale Unterschiede der Zukunft zur Vergangenheit gefunden: Indem wir unser Wissen und unsere Erfahrung in die Zukunft projizieren, erreichen wir gerade das nicht, was die Zukunft ausmacht: das Neue, das Unableitbare. Auch gleicht die Zukunft einer wehrlosen Pflanze. Sie wird das, was wir in der Gegenwart aus ihr machen (Jeder Physiker weiß das. ). Doch sind wir in dieser Hinsicht nicht ganz frei. Wir erinnern uns an Bettinas dialektisches Spiel. Unterwerfen wir die Zukunft unserer Kontrolle, extrapolieren wir unsere Erfahrung in sie hinein, so wird das Morgen dem Gestern wie eine Zwillingsschwester gleichen und jede Katastrophe wird als Befreiungsschlag empfunden werden. Geben wir dem Neuen aus der Zukunft Raum in der Gegenwart, entäußern wir uns dagegen aller Instrumente der Machbarkeit (sei es im Raum der Politik oder der Ingenieurskunst). Die Zukunft wird die Domäne der Phantasie, der fragmentarischen Entwürfe, des Spielraumes mit Tiefe, Länge und Breite. Diese selbstwidersprüchliche Eigenschaft der Zukunft hat unmittelbare Auswirkungen für das Handeln in der Gegenwart. Wir stecken gewissermaßen in dem selben Dilemma, in dem sich der A. M. K. Müllersche Physiker befindet, der (s)ein subatomares Teilchen durch ein massives Energieaufgebot dazu bringt, sich auf vorgeschriebenen Bahnen zu bewegen, um nachzuweisen, daß es das von ihm gefundene Naturgesetz auch wirklich gibt. Daß sich das Teilchen möglicherweise ohne seinen Zwang völlig anders bewegen würde, muß ihm zwangsläufig entgehen, da seine Versuchsanordnung den Zwang voraussetzt. Er hat die Zukunft präpariert, d. h. die Zukunft gezwungen, sich wie die Vergangenheit zu verhalten. Täte er das nicht, so muß man zu seiner Ehrenrettung sagen, so würde er als medio-kosmisches Wesen nichts über den Mikrokosmos erfahren können.
Wenn also, wie wir ganz offensichtlich voraussetzen, die Zeitstruktur für das menschliche Erleben die gleiche ist, wie für die Elementarteilchen (das Kausalgesetz gilt nur für die Vergangenheit, die Zukunft ist ein Spielraum des Möglichen; um die Einsteinsche Relativität kümmern wir uns hier nicht), dann steht die Frage im Raum, welche politischen Folgen das mechanistische, mit der Kantschen Kategorie korrespondierende, Zeitverständnis hatte. Daß dieses lineare Zeitverständnis durchaus den Entwicklungsgedanken einschloß, sei hier kommentarlos angefügt.
Fügen wir jedoch noch die Erkenntnis an, die es uns ermöglicht, uns von der alten Epoche der Teleologie zu emanzipieren. Teleologische Weltbilder, so hatten wir im letzten Absatz erkannt, tragen ihr Wissen und ihre Erfahrung in die Vergangenheit ein, um das So-Sein der Gegenwart zu erklären. Der eben entwickelte Gedankengang in diesem Absatz zeigt uns nun, daß ein mechanistisches Weltbild, das die Zukunft ebenso für determiniert ansieht wie die Vergangenheit, sich mit einer so konstruierten Vergangenheit in der Lage glaubt, die scheinbar vorgezeichneten Linien auch mit naturhafter Gesetzlichkeit für die Zukunft bestimmen zu können. Daß sie damit die Zukunft zwingt (und zwingen muß), dem Bild gleich zu werden, daß sie sich von ihr gemacht hat, kommt ihr nicht in den Sinn; daß sie meint, die Zukunft zwingen zu können, sich ihrem Bild anzugleichen, gehört zu der ihr nicht einmal bewußten Hybris. Teleologische Weltbilder brauchen die Gewalt, wie der Stalinismus zeigt; Gewalt braucht die Teleologie, wie der Nationalsozialismus demonstriert. Wir werden diesen Zusammenhang sofort untersuchen.
Die haarspalterisch anmutenden Streitereien zwischen den Physikern über den Determinismus haben eine politische Dimension. Ist die Welt determiniert, vor allem aber die Zukunft, könnte sie ein Ziel haben. Die Materie, mit ihr auch die geschichtlichen Prozesse, könnten einem Endpunkt zustreben, der sich im Vorhinein bestimmen läßt. Ein menschliches Wesen, dem dieser Endpunkt auf irgendeine Weise zur Kenntnis gekommen wäre, sei es durch Offenbarung, sei es durch Erkenntnis, sei es durch seine besondere historische Situation, hätte damit die Berechtigung erworben, jenseits von derzeitigen Begriffen von „gut“ und „böse“, „Recht“ und „Unrecht“, „wahr“ und „falsch“, selbst „angemessen“ und „unangemessen“ zu agieren (Wir lesen es bei Dostojewski im „Großinquisitor“. ). Er wäre der Vollstrecker, und notfalls Executor dessen, was - freilich nur in seiner Phantasie - sowieso (so-wie-so) geschehen wird. Hannah Arendt hat in diesem Zusammenhang auf einen fundamentalen Unterschied zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert hingewiesen: Es gehöre zu dem geschichtlichen Gehalt des neunzehnten Jahrhunderts, daß es eine Fülle von Ideologien hervorgebracht habe, die alle vorgeben, den großen Schlüssel für die Enträtselung der Menschheitsgeschichte in der Hand zu haben; doch in Wirklichkeit seien alle miteinander nichts anderes sind als verzweifelte Versuche, der politischen Verantwortung für Handlungen und Ereignisse zu entrinnen. Wir fügen - in Arendts Sinne - hinzu: Erst das 20. Jahrhundert in seiner ihm eigenen Hybris über das Machbare hat sich aufgemacht, die teleologischen Träume des 19. Jahrhunderts mittels Terror und Ideologie als reale Zukunft zu erzwingen.
Verheerend haben sich die beiden teleologischen Entwürfe des 19. Jahrhunderts ausgewirkt, die aus den Entwicklungsgesetzen der Natur oder der menschlichen Geschichte die Zukunft mit naturgesetzhafter Folgerichtigkeit ableiten zu können glaubten. Gemeint sind die auf der darwinistischen Entwicklungslehre aufruhende Rassetheorie, die in den Nationalsozialismus mündete, und die marxistische Theorie, die den Stalinismus hervorbrachte. Beiden Lehren ist eigen, daß sie einen quasi naturgesetzhaften Prozeß der menschheitlichen Entwicklung annehmen und somit zwar nicht die Entwicklungspfade, wohl aber das Ziel menschlicher Entwicklung als unumstößliche Wahrheit verkünden zu können glauben. Sofern sich ein Interpret und Vollstrecker dieser absoluten Wahrheit findet (bei Marx das Proletariat, in der Rassetheorie der biologische Führer), so ist diesem alles erlaubt. Er darf das positive Recht im Namen einer höheren Wahrheit zerstören; das Individuum gilt ihm nichts, denn er ist Vollstrecker eines blinden Naturgesetzes, das sich so oder so auf jeden Fall Bahn brechen wird. Freiheit kann in diesem Sinne nur in der Einsicht in die Notwendigkeit bestehen. Freilich wird man danach fragen müssen, wieso das 19. Jahrhundert (das noch viel abstrusere teleologische Theorien entwickelt hat) die Massenmorde dem 20. Jahrhundert überlassen hat? Im Stimmengewirr der teleologischen Theorien des 19. Jahrhunderts, so wird man antworten können, kam noch der Impetus des Kantschen Verdikts über das ästhetische Urteil zum Tragen (freilich weniger in der Theorie als in der praktischen Auseinandersetzung). Da Aussagen über die Zukunft - gleich ob man sie Prognosen, Planungen, Utopien, Prophezeiungen, Wissen nennt - aus genannten Gründen logisch nicht ableitbar sind, ist es dem Einzelnen wohl erlaubt, sein Urteil über die Zukunft als absolut wahr oder richtig zu bezeichnen. Jedoch entsteht ihm daraus nicht das Recht, ein anderes oder gegensätzliches Urteil als falsch oder unwahr zu bezeichnen. Dies hatte jedoch nichts mit einer Einsicht in die Struktur der Zukunft zu tun. Es fehlten einfach die uns im 20. Jahrhundert zugewachsenen technischen und organisatorischen Machtmittel, um eine teleologische Theorie in eine zielgerichtete Praxis zu übersetzen. Mit anderen Worten: Es gibt keine Vernunftgründe, warum sich ein Volk, eine Klasse oder gar ein ganzer Kontinent für ein für alle verbindliches Ziel in der Geschichte entscheiden sollte, wären es auch die edlen Ziele des Kommunismus oder die verbrecherischen des Nationalsozialismus. Wenn aber im wahrsten Sinne unvernünftige Gründe - oder sagen wir ruhig: außerlogische - unsere Optionen für die Zukunft bestimmen, so hat es keinen Zweck, auf Diskurs und Vernunft zu setzen. Nur der unbedingte Wille zur Macht wird diejenigen Widerstände hinwegfegen, die sich dem Vollstrecker des als solchen empfundenen Naturgesetzes entgegenstellen. Sowohl Hitler als auch Stalin haben dies mit der ihnen je eigenen Konsequenz getan (Hannah Arendt beschreibt es. ).
Hier sind wir an jenem Punkt, den wir ganz zu Anfang anvisierten: Dem Wechsel der Epochen. Uns geht es ähnlich wie der jüdisch-christlichen Tradition der Welterschaffung, der der göttliche Befehl, die Welt (Natur) zu unterjochen, mächtige Entwicklungsimpulse verlieh, solange sie nicht in der Lage war, diesen Auftrag in die Tat umsetzen. Heute, wo wir fähig sind, jede beliebige Tierart auszurotten, schlägt dieser ehemals fördernd-fordende Befehl zur Unterwerfung in seine destruktive Seite um. Ähnlich verhält es sich mit den teleologischen Weltbildern. Solange sie nur eine determinierte Zukunft suggerierten, ohne sie umsetzen zu können, trieben sie die Entwicklung der Kultur voran, als ihnen jedoch die Machtmittel zuwuchsen (nicht allen, dies war mehr oder weniger zufällig), ihre absoluten Wahrheitsansprüche in die Tat umzusetzen, entfalteten sie jene mörderische Kreativität, die sie - so jedenfalls der Marxismus - eigentlich nicht intendiert hatten. Teleologische Weltbilder, so wissen wir heute nach Auschwitz und dem Archipel Gulag, führen in ihrer Absolutheit, dann wenn sie sich mit den passenden Machtmitteln verbünden, in den Massenmord. Diese Tendenz wohnt dem absoluten Telos inne, auch wenn er sich heute unter dem attraktiven Schlagwort „Globalisierung“ manifestieren sollte.
Sicherlich wird man mit einer derartigen Reflexion zwar dem vulgären Marxismus, nicht aber Marx gerecht (Das plumpe System der Rassetheorie der Nationalsozialisten ist mit ihrem Fall gefallen - wir übergehen es. ), der wenige Jahrzehnte nach Bettina die Alternative von determinierter und zugelassener Zukunft zu einer dialektischen Einheit zusammengebogen hat: Des Menschen Bestimmung bestehe darin, sich aus dem Reich der blinden Notwendigkeit in das Reich der Freiheit zu bewegen. Die Geschichte der Menschheit habe ein Ziel, doch dieses Ziel bestehe nicht in der Perfektionierung der Gegenwart, sondern in der Entfesselung der Zukunft. Insofern fallen „Frau Rat“ und „Herr Pfarrer“ bei Marx dialektisch in eins: die Diktatur (des Proletariats) ist Demokratie und Freiheit; die Freiheit des Geistes bei Entfesselung der Zukunft besteht in der Verwirklichung der vorherbestimmten Selbstbefreiung. Indem er dem Kantschen „Sollen“ wieder ein Pendant in der Natur gab, definierte Marx Freiheit als Identität zwischen dem „Sollen“ der menschlichen Evolution und dem Wollen des Einzelnen. Dieser Versuch, die Zukunft durch listenreiche Dialektik doch noch der Verfügbarkeit zu unterwerfen, mußte scheitern, besteht doch die Freiheit des Menschen gerade darin, dem immerhin nicht auszuschließenden Telos der (menschlichen) Evolution - und hieße er auch Freiheit, Gleichheit, Eigentum oder Kommunismus - eben gerade nicht zu folgen, die Aufhebung der Selbstentfremdung für Humbug zu erachten oder von ganzem Herzen egoistisch, stark und böse zu sein. Die Zukunft hat kein Gesetz, es sei denn wir formulieren es.
Eine gültige Antwort auf die Erkenntnis der offenen Zeitstruktur scheint zunächst die Demokratie zu geben. Wenn eine Determination der Zukunft eine Symbiose von Logik und überwältigender Macht voraussetzt, was liegt näher, als eben, um die Offenheit der Zukunft für die Gegenwart fruchtbar zu machen, auf außerlogische und gewaltfreie Mittel zu setzen? In der Demokratie ist der Antipode zur Logik und zur Macht institutionalisiert. Ob meine Meinung als gewählter Volksvertreter, mein Ziel richtig oder falsch ist, wird von keiner Instanz geprüft. Verwirklicht wird dessen Ziel, der eine Mehrheit auf sich vereinigen kann, egal wie er dies bewerkstelligt. Dafür kann er werben, ja er ist sogar so frei, die Mittel der Logik und Erfahrung für seine Zwecke einzusetzen. Demokratie wird so zum unübertroffenen Mittel, das Unverfügbare der Zukunft in die Gegenwart zu holen. Keine Erfahrung, kein logischer Argumentationsstrang hat Macht über die Stimme eines Abgeordneten. Für das Wirtschaftsmodell hätten wir uns in diesem Fall auf den Liberalismus zu berufen. Der freie Markt kennt kein Gesetz, das - in der Vergangenheit gültig und erprobt - auch für den morgigen Tag gelten würde. Was besagt das Gesetz von Angebot und Nachfrage, wenn die Nachfrage durch eine eigens dafür eingerichtete Kommunikationstechnologie „künstlich“ erzeugt wird? Was wird aus dem Prinzip der freien Konkurrenz, wenn der Zusammenbruch eines der gigantischen Wirtschaftsunternehmungen auch die Stabilität seines Gegners untergräbt? Die Zukunft ist für dieses Wirtschaftsmodell so offen, das man offensichtlich nicht einmal seine Regeln in die Zukunft projizieren kann. Nicht umsonst sind offene Zukunft, Demokratie und wirtschaftlicher Liberalismus gemeinsame Erfindungen des Bürgertums.
Dieser paradiesische Zustand, den die Franzosen bereits vor zweihundert Jahren auskosteten, hat einen Haken, den auch Bettina offensichtlich übersehen hat. Das Neue, Unverfügbare, das die Zukunft für uns bereit hält, muß unserer Zukunft, die sich nach Wohlstand, Wohlfahrt und Überleben sehnt, nicht unbedingt zuträglich sein. Wir geben die berühmten Stichworte: Unserer Zukunft mangelt es an Rohstoffquellen, am relativ ausgewogenen Klima, an sauberem Wasser... Die Liste ließe sich noch weiter verlängern, jeder kennt sie. Der Gedanke der absolut undeterminierten Zukunft verträgt sich offensichtlich nicht mit unserem endlichen Planeten.
So zögern wir nicht länger und versuchen nun, nachdem wir die alte Epoche als Zeit der gescheiterten Teleologien bestimmt haben, dem neuen „Jahrtausend“ einen Namen zu geben. Dieses Jahrtausend hat bereits Ende der sechziger Jahre begonnen. Seine Stichworte heißen: Vermeiden von unerwünschten Folgen gegenwärtigen Handelns und Bewahren des Lebensraumes. Dies wird geschehen, soweit wir sehen, unter der sich immer weiter ausbreitenden Lebensform der Demokratie und des wirtschaftlichen Liberalismus. Da haben wir den Widerspruch, der unser neues „Jahrtausend“ bestimmen wird. Die Zukunft - so wurde schon tausendfach formuliert - hat in diesen Systemen keine Lobby, jedenfalls keine dauerhafte. Wir aber müssen, wenn wir unseren Lebensraum erhalten wollen, angesichts unserer nuklearen Technologien für künftige Jahrzehntausende vorausdenken. Unversehens geraten wir so in die Rolle des von Arnimschen Pfarrers: Wer soll die gefährliche Macht der Zukunft bändigen, wenn nicht eine weise Staatsmacht, die auf Kontinuität und Begrenzung des Neuen angelegt ist? Eine solche Staatsmacht müßte jedoch einen neuen Telos formulieren und ihn, da er letztlich nicht begründbar ist, seinen Untertanen aufzwingen. Wir wären in die alte Epoche zurückgekehrt.
Freilich gäbe es noch die Möglichkeit, den transzendentalen Schein zu wahren, der bestimmte Prinzipien des Rechtes und der Moral unserer Verfügbarkeit entzieht (Wir experimentieren mit Jonas. ). Wir könnten diese Prinzipien „Überleben“ oder „Hoffnung“ oder „Verantwortung“ nennen und uns so einen Weg in eine vorgezeichnete Zukunft bahnen, die noch genügend Spielraum für das Unverfügbare ließe, gewissermaßen einen „Garten des Menschlichen“, innerhalb dessen schützenden Zaunes Platz für allerhand Überraschungen wäre. Wir müßten uns mit einer solchen Konstruktion allerdings über alle Erfahrungen von Auschwitz, Archipel Gulag und Hiroshima hinwegsetzen, die uns in alle Vorstellungskraft bei weitem übersteigender Weise gezeigt haben, daß Recht und Moral in ihrer Bezogenheit auf den Einzelnen ersetzt werden können durch industriellen Massenmord, Deportation, die ihre Opfer anhand statistischer Vorgaben sucht und thermonukleare Kriegsführung, die selbst das Vergessen auslöscht, weil niemand mehr da ist, der vergessen könnte. Die Zäune, die durch die drei Makroverbrechen dieses Jahrhunderts niedergerissen worden sind, können wir nicht wieder aufstellen. Anders formuliert: Wir müssen unsere Zeit (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) jenseits ethischer, moralischer und rechtlicher Begründungen qualifizieren.
Eine Erfahrung immerhin hat das 20. Jahrhundert auf sehr vielfältige Weise gemacht, die es sich lohnt, in der weiteren Geschichte zu tradieren. Sowohl das Konzept der entfesselten Zukunft, das sich in Demokratie und wirtschaftlichem Liberalismus manifestiert, als auch die telisch orientierten gesellschaftlichen Systeme, die zu Orten des Terrors und der geistigen Verkrüppelung mutierten, beide so gegensätzlichen Konzepte des Umganges mit der Zukunft stießen oder stoßen an Grenzen, die nicht im Bewußtsein zu verorten sind. Anscheinend ist mit dem Ende der teleologischen Epoche auch ihr Gegenbild, das der absolut offenen Zukunft, an seine Grenzen gestoßen. Wenn wir also über die neue Epoche nachdenken, in die wir eingetreten sind, so müssen wir vor allem ein neues Verständnis von Zeit gewinnen. Es scheint so, als reiche es nicht aus, die Zeit allein im erkennenden Subjekt zu verorten. Irgendwie, so vermuten wir jetzt, gibt es auch eine objektive Zukunft, selbst wenn sie offen ist. Das heißt: der Spielraum, den die Zukunft uns eröffnet, ist nicht allein durch unser Bewußtsein bestimmt. Die Reduktion von Zeit auf das, was sich im erkennenden Subjekt abspielt (Kant gegen Jacobi) scheint tatsächlich nicht ausreichend, um unsere neue Epoche zu bewältigen. Wir nähern uns damit wieder unserer Alltagserfahrung von Zeit, die intuitiv davon ausgeht, daß es die Zeit außerhalb von uns selbst gibt.
Die empirischen Wissenschaften haben ja nie einen Hehl aus ihrer Neigung gemacht, ihrem Untersuchungsgegenstand eine eigene Zeit zuzuschreiben. Versuchen wir doch, unser gewonnenes Zeitverständnis auf das außerhalb unserer selbst zu übertragen, auch wenn es uns zunächst den Vorwurf des Anthropomorphismus einträgt. Wenn Zeit erst durch Erinnerung möglich ist, so müssen wir fragen, ob die unbewußte Natur nicht doch die Fähigkeit hat, in sich selbst ein Bild ihrer eigenen Vergangenheit zu bewahren (das sie freilich nicht erkennen kann). Mit anderen Worten: Wir fragen, ob die Natur nicht eine Geschichte habe? Eine erste Antwort auf diese Frage fällt erstaunlich leicht: die Ringe im Holz der Bäume, die Schichtungen in den Sedimenten vergangener Meeresböden, der mit der Tiefe zunehmende Mangel an bestimmten Kohlenstoffisotopen im ewigen Eis, Altern und Tod in der belebten Natur, das Lichtspektrum eines weißen Zwerges - alles gemahnt an eine geordnete Vergangenheit außer uns selbst. Jedes steht an seiner Stelle. Welche Stelle es ist, erklärt sich aus den Schritten, die die Zeit in der Vergangenheit zurückgelegt hat. Wir sind uns intuitiv dieser objektiven Zeit so sicher, daß wir einen Archäologen, der behauptete, neben einem Mamutknochen eine funkelnagelneue Kettensäge ausgegraben zu haben, eher ins Irrenhaus bringen würden, als daß wir seinem Bericht Glauben schenkten.
Welche Eigenschaften aber sollen wir dieser objektiven Zeit zuschreiben? Die Einsteinschen Eigenschaften, die es erlauben, den Widerspruch zwischen der Zerfallszeit eines Teilchens und seiner tatsächlich beobachteten Zerfallszeit in eine mathematische Funktion der relativen Geschwindigkeiten aufzulösen? Die Bergsonschen Eigenschaften, die die Zeit in Form eines Kometen mit langem, in die Vergangenheit gerichtetem Schweif und einer flächigen, mehrdimensionalen Gegenwart vorstellen? Die Boltzmannschen Eigenschaften, die sich aus dem Zweiten Thermodynamischen Hauptsatz herleiten lassen? Vielleicht sollten wir auch - etwas harmoniesüchtig - davon sprechen, daß die Eigenschaften der Zeit selbst relativ sind, daß also ihr So-oder-so-Scheinen dem betrachteten Gegenstand anhängt (genauer: von der Überlagerung der Zeiteigenschaften je des beobachtenden Subjektes und seinem Objekt abhängt)? Letzteres setzte - auch hier sprechen wir mit Weizsäcker - eine allgemeine Theorie der Zeit voraus, aus der sich die vielen Zeiten als Spezialfälle ableiten ließen. Verwirklichen ließe sich dieses Ziel erst mit einer einheitlichen Wissenschaft, wie sie ja die Existenz der Mathematik suggeriert. Auch hier müssen wir einen reflexionsverengenden Durchstich wagen. Uns interessiert nicht die Zeit der lichtschnellen Teilchen, unsere Zeit ist die der mediokosmischen Größen, also derer, die unseren Sinnen nahe sind.
Hier wird sofort deutlich, was der Leser sicherlich unseren Ausführungen lange Zeit bereits entgegengehalten hat: Das Phänomen der „gläsernen Ente“, des Mythos als Speicher menschlicher Erfahrung ist nur die eine Seite der Vergangenheit. Der Bergmann - um noch einmal Franz Fühmann zu bemühen - der in die Tiefen der Vergangenheit hinabfährt, wird niemals zwischen den Schichten des Kupferschiefers eine seiner mythischen Gestalten entdecken, die er in jener tiefen Vergangenheit lokalisiert hat. Wohl aber wird er hin und wieder die Erinnerung der Natur an sich selber, nämlich fossile Lebewesen urvergangener Zeiten in seinen Händen halten. Was dieser Mensch aus seinem Fund macht, ob er ihn wegwirft oder den Mythos verwirft oder gar seine Vergangenheit mit der Vergangenheit der Erde zu einem neuen Mythos verwebt (wie Fühmann), bleibt ihm überlassen. Er ist der Herr über seine Vergangenheit, doch hat diese Herrschaft Grenzen. Und diese Grenzen - auf diesen Satz habe ich seit den ersten Worten meines Essays gewartet - diese Grenzen bestimmen seine Zukunft.
Diese überraschende Wendung ist leicht einzusehen. Man brauchte nicht einmal die Quantenphysik zu bemühen, die es vielleicht so formulieren würde: Der jetzige Zustand meines zu untersuchenden Systems erklärt sich aus dem vorherigen. Aus dem jetzigen Zustand heraus aber kann ich sagen, daß ein bestimmter folgender Zustand nur mit extrem geringer Wahrscheinlichkeit eintreten wird, ein anderer Zustand sehr wahrscheinlich ist, ein dritter fast ebenso. Dies heißt doch nicht anderes als: Von der Geschichte des zu untersuchenden Systems ist abhängig, was zukünftig als wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher zu gelten hat. Wieviele Möglichkeiten der Raum der Zukunft eröffnet, wird durch die Vergangenheit bestimmt und durch gegenwärtiges Handeln nochmals beeinflußt. Sprechen wir von sinnlichen Dingen wie dem Goldenen Zebra, das in Südafrika lebend, zu Anfang dieses Jahrhunderts ausgerottet wurde. Mit dem Ende des Goldenen Zebras haben wir Schönheit ausgelöscht (Ein ausgestopftes Exemplar ist im Berliner Museum für Naturkunde zu besichtigen. ). Wir haben diesem Tier die Möglichkeit genommen, sich mit anderen Rassen zu vermischen, noch schöner zu werden oder zu degenerieren. Durch die Ausrottung dieses Tieres wurde der - im wahrsten Sinne dieses Wortes - Spielraum der Zukunft schmaler. Andererseits hat der Mensch seit damals neue Rassen kreiert, freilich meist solche, die seinen utilitaristischen Ambitionen genügten, aber das sei dahingestellt. Es gibt also Handlungen in der Geschichte, so folgern wir aus diesen beiden unvollkommenen Beispielen, die den Handlungsspielraum für die Zukunft einschränken und solche, die ihn erweitern.
Diesen Mechanismus können wir uns zunächst an unbelebten Systemen deutlich machen. In derartigen Systemen - wir verzichten auf jegliche Einzelheiten - werden, wenn die Natur eine Geschichte hat, ständig mögliche Alternativen entschieden, das heißt: aus der Fülle der Möglichkeiten der Zukunft wird in der Gegenwart ausschließlich eine ausgewählt, zugleich aber die unausgewählten ihrer ursprünglich möglichen Verwirklichung beraubt. Das System reichert sich in seiner Geschichte mit Information an, die zugleich bestimmt, welche Zustände noch erreichbar sind, welche nicht mehr. Der Spielraum der Möglichkeiten für die Zukunft erhält Grenzen, die mit der Zeit schmaler werden. Das könnte man auch als Entropie bezeichnen. Alle teleologischen Systeme des 19. Jahrhunderts, die auf Naturgesetzen aufruhen, müßten, wenn sie denn zuträfen, nach unserem heutigen Verständnis mit einem Endzustand rechnen, der sich folgendermaßen beschreiben ließe: Gigantische, schwerfällige Apparate (gleich welcher Provinienz) regieren die Schicksale der Einzelnen, jeder Schritt in die Zukunft legitimiert neue Fremdbestimmung des Individuums, der Spielraum der Zukunft wird so schmal, daß man ihn durchaus als determiniert bezeichnen kann. Dies ist ein Zustand der Geschichte, der jenseits von „gut“ und „böse“, von „Guten“ und „Bösen“ nicht mehr als wünschenswert betrachtet werden kann.
Das menschliche Bewußtsein könnte man unter diesen Bedingungen als einen Trick der Natur bezeichnen, gegen diesen Strom der Entropie zu schwimmen. Und nur diese Fähigkeit verdient den Namen „Freiheit des Geistes“. Den Gedanken, den Bettina der Frau Rat in den Mund legt, nämlich die Kräfte der Zukunft nur zuzulassen, können wir nun fortführend modifizieren, ohne in die reaktionäre Falle des Arnimschen Pfarrers zu laufen. Zunächst noch einmal negativ: Das Neue und Unverfügbare, das die Zukunft birgt, entfesselt auf die Gegenwart loszulassen, trägt ebenso tödliche Konsequenzen in sich, wie die absolute Bestimmung des Telos der Geschichte in ihrer Symbiose mit dem industriellen Zeitalter in den Massenmord führt. Unter diesen Prämissen nimmt das angestrebte Gute die gleiche mörderische Konsequenz an, wie das angestrebte Böse ungeahnte Effizienz erreicht.
„Gut“ - wir gebrauchen den Begriff nun in metaphorischem Sinne - oder anstrebenswert kann nur noch das sein, was den Spielraum des Möglichen für die Zukunft nicht nur nicht einschränkt, sondern regelmäßig erweitert. Sinnlich gesprochen: Die abnehmenden Rohstoffquellen engen die Möglichkeiten der Zukunft ein; der bevorstehende Klimawechsel beraubt uns zwar Jahrhunderte alter Erfahrungen und Identitäten, ist jedoch hinsichtlich der sich eröffnenden Möglichkeiten noch nicht abzuschätzen; die wirtschaftliche Globalisierung und die Expansion der Weltbevölkerung beraubt uns der Möglichkeit, lokale Probleme wie soziale Spannungen, Ressourcenmangel und Entsorgungsprobleme in andere Gebiete der Erde zu exportieren. Einige technologische Errungenschaften, besonders die der Verarbeitung von Information, haben unsere Möglichkeiten sprunghaft erweitert. So könnten wir jetzt den gesamten Kanon der erworbenen Zivilisationsgüter und zerstörten Naturgüter aufblättern, um an ihnen zu exerzieren, welche davon den künftigen Spielraum der Möglichkeiten einengen und welche ihn erweitern. Da dies im einzelnen jedoch durchaus strittig sein dürfte, mitunter auch ambivalente Züge trägt (Gen-Technik, Nuklear-Industrie, Imperialismus), beschränken wir uns darauf, die Forderung nach einer solchen permanenten Erweiterung des Spielraumes der Möglichkeiten zu begründen.
Wir haben gesagt, daß nur solche Handlungen den Namen „frei“ verdienen, die dem Strom der Entropie entgegenschwimmen. Doch auch die künftigen Generationen, sofern wir denn ihr Recht auf Selbstbestimmung ernst nehmen, fordern von uns ihren eigenen Spielraum. Wahrnehmen können sie dieses Recht nur, wenn wir ihnen eine an Möglichkeiten reiche Welt hinterlassen. Sicher wird es aber kaum jemanden in der jeweiligen Gegenwart geben, der dem abstrakt erscheinenden Recht der Zukunft auf sich selber gegenwärtige Pflichten entgegenstellen würde. Die Welt besteht nun einmal nicht aus einer erdrückenden Überzahl von Altruisten - und in einer Demokratie gilt: Wer sein Recht nicht einfordert, der wird es nicht bekommen. Folglich müssen wir - nunmehr Hans Jonas folgend - das Recht der Zukunft in der Gegenwart verankern. Freilich erscheint es kaum glaubhaft, daß der Mensch, seinem biologisch verankerten Brutpflegetrieb folgen würde, wie es das Prinzip Verantwortung vorsieht. Eher könnte man Jonas´ Prinzip metaphorisch auf die gesamte Menschheit übertragen. In solch übertragenem Sinne könnte man sagen, sie gehe mit dieser Epoche aus dem rüpelhaft gewalttätigen und sich selbst maßlos überschätzenden Jünglingsalter in das des jungen Erwachsenen über, der mit Umsicht seinen Lebensraum ordnet und dabei bereits an seine Kinder denkt. Von ihren zukünftigen Generationen könne diese gereifte Zivilisation nicht im Stile eines Vaters des 19. Jahrhunderts verlangen, daß sie die ihr bereiteten Zukunftsbahnen vorbehaltlos akzeptieren und das Werk der Väter fortführen (Nehmen wir die Buddenbrooks). Doch solchen rhetorischen Kunststücken wollen wir die Zukunft der Menschheit lieber nicht anvertrauen. Schließlich fehlt für die Übertragbarkeit einer Biographie auf die Zivilisation jede empirische Basis und - so setzen wir hinzu - wir würden damit eine neue Art von Teleologie installieren. Die Jonassche These, die Evolution, deren Gesetzen der Mensch auch folge, sei blind für die Zukunft, bleibt ein Hindernis, das ernstzunehmen ist. Der Mensch der neuen Epoche hat das Kunststück zu vollbringen, die Zukunft zu ermöglichen, ohne sie determinieren zu wollen. Diese Aufgabe hat mit den blinden Mechanismen der Evolution nichts mehr zu tun. Wenn man Jonas ernst nimmt, wird man folglich nur auf Prozesse hoffen können, die sich gerade von den evolutionären - das sind: mit naturgesetzhafter Folgerichtigkeit ablaufende Entwicklungsprozesse - Momenten in der menschlichen Geschichte emanzipieren.
Wenn wir also - so resümieren wir fragend - unsere Zukunft weder den gnädig wirkenden Gesetzen (ein gnädiger Gott wäre in etwa das gleiche) der Natur anvertrauen, noch der Pflicht und der Verantwortung überantworten vermögen, wie sollen wir dann wenigstens darauf hoffen können, die Aufgabe unserer neuen Epoche angehen zu können? Eine mögliche Antwort - der Verfasser wird vorsichtig - könnte im Lustprinzip liegen, einer erneuerten Fähigkeit, sich dem Spaß und der Freude hinzugeben. Das mag zunächst überraschen; wir können darin jedoch auf eine lange Tradition verweisen. Menschen, so formulieren wir diese, die sich selbst zutrauen, in ihrem Leben neue Spielräume des Möglichen zu eröffnen, erfahren sich plötzlich in einem Zustand der Euphorie und der Lebensfreude, die ihnen bisher unerreichbar schienen. Als zu Pfingsten die Jünger Jesu zum ersten Mal wieder zusammen waren, gerieten sie in einen Zustand, von dem die Umstehenden meinten, sie seien „voll des süßen Weines“. Was war geschehen? Das Herniederrieseln des Heiligen Geistes erfüllte sie mit dem mächtigen Bewußtsein einer neuen Zukunft; der Himmel stand offen - nichts schien mehr unwirklich, Wunder wurden en passant erledigt. Wer das unverschämte Glück hatte, irgendwo im Ostblock (außer Rumänien, vielleicht auch nicht im Baltikum, erst recht nicht im ehemaligen Jugoslawien) an einer der Revolutionen von 1989 teilgenommen zu haben, der durfte dieses fast körperliche Gefühl von ermöglichter Zukunft für seine gesamte weitere Biographie in sich bergen (Wir reden hier nicht den Stahlgewittern Ernst Jüngers das Wort. Der Rausch der Freiheit ist mit dem Blutrausch nicht zu vergleichen. ). Die offene Zukunft spiegelte sich in den Augen der Menschen wider; sie bewegten sich anders, waren eher zu Scherzen geneigt - und wußten, was sie wollten. Der Rausch der neuen Möglichkeiten, den die Revolution entfachte, riß andere erstarrte und verkrustete Lebensumstände auf: Viele ließen sich scheiden, suchten sich einen neuen Beruf, manche zeugten Kinder (die sogenannten „Wendekinder“), gründeten Vereine oder reisten in die weite Welt. Um es auf „kleinere“ Ereignisse zuzuschneiden; viele Frauen, die es endlich geschafft haben, ihren gewalttätigen Mann vor die Türe zu setzen, können diese eigentümliche Erfahrung bestätigen: „Sie geht durch ihre Wohnung, als sähe sie sie zum ersten Mal. Sie wundert sich über die braunen Flecken in der Küche und beschließt, sie bei nächster Gelegenheit zu renovieren. Doch dann findet sie sich plötzlich auf dem Weg ins Kino, wo sie seit Jahren nicht gewesen war. Sie kehrt um auf halbem Weg und geht in die Kneipe. Sie hat Lust auf Menschen...“ Die Zukunft ist offen und diese - sicherlich schlecht erfundene - Frau, spielt mit Möglichkeiten, die ihr bisher verschlossen waren, die sie sich aber selbst geschaffen hat. Das macht lebendig. So weit, so gut. Sind wir jetzt bei der geschmacklosen und lustfeindlichen These von der permanenten Revolution? Sicherlich nicht. Tatsächlich läßt sich der Rausch der Freiheit nicht perpetuieren. Die Franzosen - Pardon, liebe Nachbarn! - haben es mit der Guillotine versucht; es hatte wenig Erfolg. Die christliche Kirche hat den Rausch der offenen Zukunft in ihre Sakramente eingeschlossen und verabreicht sie in kleinen Dosen; auch das ist kein Lösungsansatz. In unserer - angeblich - postmodernen Welt hat sich die Freizeitindustrie des Rausches bemächtigt, womit durchaus nicht nur die sogenannten Extremsportarten gemeint sind. Abgesehen davon, daß die Freizeitindustrie den Rausch der Offenheit überwiegend im Raum der Illusion anbietet (Die Übergänge zur „realen Welt“ sind hier fließend - Umberto Ecco. ), kann uns diese professionelle Verwaltung der Freiheit durchaus als Vorbild dienen. Nehmen wir das eingangs erwähnte bungi-jumping: Der Spielraum des zu Erfahrenden ist technisch und psychisch sorgfältig abgeschirmt, der Vorgang selbst überschwemmt dennoch die Sinne in totaler Weise, verschafft das Gefühl ungeheurer Weite und strahlt auf die nächsten Tage und Wochen aus. Wem es gelingt, dieses - wir sprechen nun wieder metaphorisch - bungi-jumping mit allen seinen technischen Rahmenbedingungen (sicherlich auch nach persönlichem Geschmack dosiert) in seine Berufs- und Privatwelt zu übernehmen, den wird diese euphorische Grundstimmung durch sein Leben tragen. Ich rede hier durchaus den „jungen Unternehmensgründern“ das Wort, die ziemlich hart arbeiten müssen, nachts auch schon mal schlecht schlafen, aber dieses unglaubliche Gefühl in sich tragen, ihren Spielraum der Möglichkeiten selbst geschaffen zu haben. Wer sich mitten in seiner Midlife-crisis entschließt, den alten Beruf an den Nagel zu hängen, um sich eine neue Zukunft zu erobern, der wird nach kurzer Zeit feststellen, daß die Herzprobleme, ja sogar die grauen Haare verschwunden sind. So, na gut, genug geschwärmt, Herr Autor. Schließlich sind die Enthusiasten ja samt und sonders in festen Strukturen gelandet (Wir verfolgen das Schicksal der christlichen Urgemeinden, der kommunistischen Aufbruchsbewegungen, der politischen Revolutionen, der Arnims, Brentanos, Varnhagens etc. ).
Richtig. Die Frau, die ihren Mann aus der Wohnung geworfen hat, wird - wenn es schlecht geht - vielleicht wochenlang die Sozialämter belagern müssen; viele Revolutionäre von 1989 ächzen heute unter dem stupiden parlamentarischen Alltag; die „Wendekinder“ gehen in die Schule oder leiden unter Schnupfen; der Charme der christlichen Urgemeinden läßt sich nur mittels metaphysischer Kunststückchen in den Kirchen wiederfinden. Doch das kann, wir vermuteten es, gar nicht anders sein. Das hieße ja sonst, daß wir uns das Unverfügbare der Zukunft doch noch irgendwie verfügbar gemacht hätten. Möglicherweise sollten wir uns in eine geschichtliche Pendelbewegung zwischen offener und determinierter Zukunft begeben. Dafür gibt es sogar geschichtliche Beispiele: Die Katholische Kirche hat in ihrer Geschichte religiösen Aufbruchsbewegungen immer wieder zunächst eine Art Spielwiese zugewiesen. Erwies sich der Aufbruch als tragfähig hat sie ihn sich einverleibt - und sie ist damit trotz vieler zwischenzeitlicher Erstarrungen über die Jahrtausende gut gefahren. Das osteuropäische kommunistische System hat seine Abenteurer der offenen Zukunft erschossen, eingesperrt oder mundtot gemacht. Es endete tatsächlich nach den Gesetzen der natürlichen Evolution: ein erstarrter Apparat, der an seiner eigenen Überladenheit mit Information zu Grunde ging. Der Westen, dem ich an dieser Stelle aus vollem Herzen meine Huldigung ausspreche, hat in den vergangenen Jahrzehnten sowohl im technischen, politischen als auch kulturellem Bereich der offenen Zukunft immer wieder Spielräume gegönnt und sie schließlich in sich absorbiert, um sich zu wandeln. In Deutschland sehen wir das an den 68-er Steinewerfern und den heutigen Grünen. Politisch gesprochen: Die Zukunft manifestiert sich in den partikularen Zukünften einer Gesellschaft, die demokratisch vermittelt werden müssen. Nur eine Gesellschaft hat Zukunft, die Zukünfte zuläßt und kultiviert. Das bedeutet zugleich Freiheit, (sagen wir es ruhig:) Lebensfreude und Selbstbestimmung in der Gegenwart. Und - wir werden auch frei von den schalen Surrogaten des Erlebnisurlaubs.
Wiederholen wir es noch einmal auf romantisch: Bettinas Biographie selbst dokumentiert dieses Pendeln zwischen Herrn Pfarrer und Frau Rat. Der jugendlichen zwischen Offenheit und Ziellosigkeit angesiedelten Zukunft der Bettina Brentano folgte die determinierte Zukunft der Kindererziehung und der Geldsorgen der von Arnim. Diese Biographie hätte nun in Weisheit und Erstarrung enden müssen, wie viele neben ihr. Doch diese Frau holte sich das Unverfügbare der Zukunft in ihre Gegenwart, sie handelte nicht nach Erfahrung und Theorie und eroberte sich einen Spielraum zwischen König und Revolution, der für ihren Stand zu dieser Zeit ohnegleichen ist.
Fassen wir zusammen: Der Spielraum der Zukunft ist eng geworden. Die alte Epoche hatte sich auf den Polen der engstirnigen Determination und der romantischen Verwahrlosung der Zukunft niedergelassen. Beide Extreme führten uns in die zivilisatorischen Katastrophen der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts. Die neue Epoche wird sich die Zukunft wieder öffnen müssen, wenn sie sich nicht zwischen den Alternativen der Erstarrung und des Chaos aufreiben will. Dies kann sie nur, indem sie die Zukunft als globalen, menschheitsgeschichtlichen Entwurf fahren läßt, um ihn den Zukünften einer pluralistischen Gesellschaft überantwortet; indem sie eine politische Kultur installiert, die neuen Zukünften gegenüber freundlich gesonnen ist. Zukünfte zu leben ist zugleich befreiende Erfahrung in der Gegenwart, die lustvoll wahrgenommen werden kann. Erfahrung und Theorie (die Vergangenheit, besser die Vergangenheiten) halten die Sicherungen bereit, um das unausbleibliche Risiko abzufedern. Werden wir auf diesem Weg die Natur bewahren können? Ganz sicher nicht. Die Natur, womit wir wohl unsere Lebensumwelt von den dreißiger bis in die fünfziger Jahre meinen, kann schon deshalb nicht bewahrt werden, weil sie je und je das Ergebnis von Prozessen ist. Bewahren hieße hier konservieren, das heißt „Stillstand“, das heißt Tod. Was wir tun können, ist, der Natur Inseln zu geben, in denen sie die Erinnerung an sich selbst erhalten kann, ansonsten werden wir - dominant in diesem Prozeß - aus diesem Globus einen Artefakt machen. Werden wir Kriege und Abgleiten in atavistische Zivilisationen verhindern können? Wir bedauern: Nein. Selbst die Möglichkeit zum Bösen muß den folgenden Generationen erhalten bleiben, um sie je und je vor die Frage zu stellen, worin das Gute bestehen könnte. Was aber zukünftige Generationen uns voraus haben werden, ist die Erfahrung, die gesammelte Information über verwirkte und verwirklichte Chancen aller ihrer möglichen Vergangenheiten, sei es nun in einem neuen Mythos, in den vergrabenen Müllbergen oder am Anfang des Kosmos. Dieser Reichtum kann ihnen immerhin ein Geländer sein. Die Weisheit hat also immer noch eine Chance zuzunehmen. Am Anfang dieser Epoche stehen wir nun. Ein politisches oder technologisches Instrumentarium, diese - im Wortsinne - Forderungen der Zukunft umzusetzen, ist nicht in Sicht. Alles, was bisher unseren Freiraum für die Zukunft vergrößert hat, ist aus dem Zufall geboren. Wir nahmen diese Geschenke, ohne zu ahnen, daß sie uns das Paradigma des neuen Jahrtausends sein könnten: Die Zeiten sind ineinander verwoben. Wir leben in einem Netz aus Zeiten, die sich vielfach überlagern, daher fluktuieren und sich aneinander brechen. Nur diese Vielfalt von Zeit ermöglicht uns eine Zukunft und viele Vergangenheiten. Die Zeit befreien heißt: Diese Vielfalt wahrnehmen. Sie hat Länge, Tiefe und Breite.
Back to the roots... Zurück zu Texte?