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Bernstein-Frelich, Werner

 

Es heißt immer, der Radioastronom Werner Bernstein-Frelich sei von Außerirdischen entführt worden, nachdem er deren konspirativen Informationskanäle aufgedeckt, abgehört und entschlüsselt habe. Das ist natürlich barer Unsinn. Wahr ist an dieser Geschichte lediglich, dass Bernstein-Frelich beim Scannen des Punktes Omega einen Fetzen intergalaktischer Kommunikation aufzeichnete. Die Dekodierung gelang ihm – entgegen allen Erwartungen – überraschend einfach, indem er intuitiv den Algorithmus b3 anwandte. Der Text wurde auch in der Astronomischen Umschau Nr. 6/1993, S. 67 f veröffentlicht. Danach versank der Astronom in Schwermut. Wir geben den Wortlaut hier noch einmal unkommentiert wieder:

„… was diese sogenannte Erde angeht: Mir scheint, dass dort eine interessante Fehl-Evolution stattgefunden hat. Auf Grund des hohen Wasseranteils des Planeten, verbunden mit einer giftigen Sauerstoff-Atmosphäre konnte sich  dort keine Noos-Sphäre entwickeln. Anstelle der üblichen einheitlichen denkenden Schicht über der Lithos-Sphäre entstanden dort sogenannte Organismen, von denen einige – für ihre begrenzten Möglichkeiten – beachtliche, aber für normale Verhältnisse absonderliche Fähigkeiten entwickelten. Da zum Beispiel ihr Wahrnehmungsvermögen nicht ausreicht, um eine selbstgenügsame Sistenz zu entfalten (sie nennen es deshalb Existenz), sind sie auf einen maximalen Austausch an Information angewiesen. Diesen realisieren sie über codierte Schallschwingungen im Bereich zwischen 20 und 16.000 Hertz. Inzwischen nutzen sie auch verschiedene Transponder, mit denen sie auf elektromagnetischer Basis die Reichweite über den gesamten Planeten ausdehnen. Die daraus resultierende, durch die Fülle verschiedener Informationen chaotisch wirkende, Abstrahlung führte zu der irrigen Annahme, die Erde sei von einer multiplen Persönlichkeitsstörung befallen. Diese Theorie ist nur annähernd zutreffend. Tatsache ist, dass die Noos-Sphäre der Erde nie entstanden und daher auch kein Zerfall ihrer Identität möglich ist. Hervorgebracht hat dieser bedauernswerte Planet lediglich sogenannte Individuen, kleine informationsverarbeitende Einheiten auf der Basis von Aminosäuren mit begrenztem Wahrnehmungsvermögen im dreidimensionalen Bereich (Raum-[Allfaktor-Synonym]? Frontal). Da diese Wesen nicht über Permanenz verfügen, sind sie darauf angewiesen, sich rhythmisch zu reproduzieren. Dieser Reproduktionsprozess absorbiert mehr als 99 Prozent der intellektuellen Leistungen dieser Spezies, zumal sie ja darauf angewiesen ist, auch ihr sporadisches Überdauern durch sekundären Energiegewinn (Nahrungsaufnahme) zu organisieren. Interessant ist, dass einzelne dieser sogenannten Individuen durchaus gewisse – allerdings hochspekulative – Einsichten in die kosmischen Entitäten hervorgebracht haben. So kam ein gewisser Thomas von Aquin der Wirklichkeit des Seins recht nahe. Das Wesen, das sich Teilhard de Chardin nannte, vermutete immerhin die Noos-Sphäre als normales Ergebnis der Kosmogenese (ähnlich wie Wernadski). Ein weiteres Wesen namens Einstein näherte sich einem realistischen Verständnis von Zeit. Andere Wesen wie Nietzsche, Kierkegaard und Heidegger dokumentieren auch – als intellektuelle Höchstleistung – die traurige Erkenntnis, dass der Erde der normale Entwicklungspfad versperrt bleibt. Das Hauptproblem dieser Individuen bleibt ihre Sterblichkeit. Sie betrachten sie intuitiv als widersinnig, womit sie ja auch Recht haben. Manchmal können einem diese kleinen Viecher wirklich leidtun, wenn man wahrnimmt, wie sie sich abstrampeln, zu Gott beten oder aber in schwerste Depressionen, Autoaggressionen oder Größenwahn verfallen. Inzwischen schicken sie kleine Apparate zu den leider genauso missratenen Nachbarplaneten ihres Sonnensystems, um dort nach ihresgleichen zu suchen, und senden Kommunikations-Angebote im dreidimensionalen Raum herum. Nun frage ich Sie, lieber Kollege, was soll man diesen Gurkenfressern antworten? Wie soll man ihnen solche Banalitäten wie den [unübersetzbarer Fachbegriff] verklickern? Sicherlich. Im Sinne der kosmischen Hygiene könnte man ihr Sonnensystem annihilieren. Das halte ich aber für überflüssig. Sie werden ihr System nie verlassen. Die lineare Zeit und der dreidimensionale Raum sind ihr zu Hause. In denen mögen sie sich einrichten und ihre Reproduktionsorgien betreiben, um die ich sie übrigens manchmal ein wenig beneide. In ein paar Milliarden Jahren wird ihre Sonne, von der sie sich ernähren, sowieso zu einem – wie passend! – weißen Zwerg. Dann ist der Spuk vorbei. – Das erinnert mich übrigens an ein aberrantes System im Fegefeuer [sinngemäße Übersetzung], das ich nur durch kolloquide Vernisation duratieren konnte. Ein hübsches Stückchen Arbeit. Wie geht es übrigens Beteigeuze, der alten Schlampe? Die könnte sich doch mal um die Erde kümmern – mit ihrem Helfersyndrom. Lassen Sie uns das mal am Mittwoch [sinngemäße Übersetzung] besprechen. Ich mache eine kleine Supernova im Andromeda-Nebel. Nichts Besonderes, nur für die wichtigsten Entitäten in diesem Kosmos. Sie sind natürlich herzlich eingeladen. Ihr Demiurg.“

 

 

Christian Sachse, 2012

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